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Bewusste Kooperation und Aufklärung

Gegen die Streichungspolitik des Rechtssenats

"Die Zukunft wird nun jedoch eine Emanzipation der Agglomerationen gegenüber den Nationalstaaten ermöglichen. Was nämlich mit der 'Globalisierung' in der Nachkriegszeit begann, wird im 21. Jahrhundert in Europa zu einer 'Glokalisierung' führen. Damit ist gemeint, daß offene Märkte und sinkende Distanzkosten 'Volkswirtschaften' verblassen lassen. Die europäische Landkarte wird ihre Konturen künftig durch lokale Ballungszentren, regionale Wachstumsbananen, aber auch darbende Rostgürtel erhalten."

(Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs, HWWA)

"Es geht, vieles an Forschung und Lehre zeigt dies, um eine Bereinigung der Geisteswissenschaften und damit um die Auslöschung des begründeten Inhalts des historischen Bewusstseins der Gesellschaft. Damit ist die Aufforderung an die Gegner des Neoliberalismus formuliert: Dieser Verlust des historischen Gedächtnisses der Gesellschaft muss verhindert werden. Es ist wichtig, sich (wieder) der Geschichte zu bemächtigen und auch der Theorie, die sie hervorgebracht hat."

(Herbert Schui, Stephanie Blankenburg, Neoliberalismus: Theorie Gegner Praxis, VSA 2002)

Der Hamburger Rechtssenat will in seiner nächsten Sparrunde erneut bei vielen sozialen, kulturellen und bildungsrelevanten Einrichtungen den Rotstift ansetzen - auch bei den Geschichtswerkstätten, dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH, Schwerpunkte: Arbeiterbewegung, Antisemitismus, "Nationalsozialismus") und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Zur Beseitigung der Forschung für den Frieden wird unter anderem erwogen, das IFSH in einem "Zentrum für Globalisierung" unter ideologischer Dominanz des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs (s.o.) aufgehen zu lassen. Einem solchen Zentrum (dem Gehalt nach ein 'Institut für Kolonialisierung und Sicherheitspolitik') obläge es, zur Forcierung kapitalistischer Ausbeutung sicherheits- und wirtschaftspolitische Strategien zu entwickeln, die der 'Befriedung' der in der internationalen Standortkonkurrenz unterlegenen Regionen dienen, und für die Metropole Hamburg Pläne zum Schutz vor Terrorismus zu entwerfen. Zur Unterdrückung gehört halt auch die Angst vor den Unterdrückten. Um dies zu erreichen, setzen Finanzsenator Peiner und Wissenschaftssenator Dräger das IFSH unter Druck: Der eine droht mit der Kürzung von zwei Dritteln der staatlichen Zuwendungen, während der andere das Institut durch die Verzögerung des Berufungsverfahrens für die Institutsleitung bis zum Ende des 'Restrukturierungsprozesses' und durch die Verlegung des Instituts in Uni-Nähe an der aktuell notwendigen Tätigkeit behindern will.

Diese Wissenschaftspolitik soll die profitträchtige Reorganisation der ganzen Gesellschaft befördern. Im Gleichklang mit dem neoliberalen Vordenker und Chef des HWWA, Thomas Staubhaar, strebt der Senat die Austrocknung sozialer Errungenschaften und die Ausbeutung von Mensch und Material an. Zweck ist, in den kapitalistischen Metropolen die Rendite-
bedingungen für Banken und transnationale Konzerne zu ver-
bessern. Dort "darbende Rostgürtel" - hier "Wachstums-
banane".
Die Schließung oder massive Einschränkung der Institutionen, die der kritischen - das heißt für positive Lehren wirkenden - Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte dienen, zielt darauf, das wissenschaftlich fundierte Verständnis für die kooperative, allgemein nützliche Gestaltbarkeit der menschlichen Lebensbedingungen zu verhindern, Aufklärung auszuschließen: Die Kenntnisse über den Kampf für Demokratie und soziale Gleichheit gegen Ausbeutung und Unterdrückung, über die Politik der Verständigung, Annäherung und Abrüstung, über Theorie und Praxis der solidarischen Gestaltung des gesellschaftlichen Alltags und über Traditionen und Widersprüche bürgerlicher Aufklärung sollen auf den "Müllhaufen der Geschichte" wandern.

Dementgegen soll Zustimmung zur Senatspolitik der Unmündigkeit und Unterwerfung hergestellt oder zumindest simuliert werden: Mit dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehrrekruten bejubelt der Senat die Militarisierung. Mit der Illumination des Bismarck-Denkmals bejaht er dessen Politik der kriegerischen Reichseinigung, der Kolonialisierung und der Verfolgung der Arbeiterbewegung. Er instrumentalisiert das Gedenken an die Toten der Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg, um aus der 'Opferperspektive' der "Volksgemeinschaft" von den satten Kriegsprofiten der Täter des Holocausts und des Vernichtungskrieges abzulenken.

Dagegen muss die gesellschaftskritische und über diese Verhältnisse hinausweisende Praxis der von der Senatspolitik bedrohten Institutionen und der in ihnen Tätigen gestärkt und weiterentwickelt werden. Dafür muss die bedarfsgerechte staatliche Finanzierung und auf dieser Grundlage die demokratische Verfügung über Ziele und Aufgaben dieser Einrichtungen gegen den Rechtssenat erstritten werden. Dies erfordert ein Höchstmaß an bewusster Kooperation und aufklärerischem Engagement all jener, welche die allgemeine Nützlichkeit der Wissenschaften, demokratische Bildung und kulturelle Entfaltung für Alle sowie soziale Entwicklung weltweit für durchsetzungswürdig halten.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Freitag, den 5. September 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_27.html