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Dressur oder Verfügungserweiterung?

Zur Diskussion um die Lehrerbildung

,,Gerade weil nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch generelle Haltungen, Lebensgewohnheiten, Handlungsbereitschaften, Urteilskompetenzen der Individuen dem Vernehmen nach durch Lernen entstanden sind und geändert werden können, hatten herrschende Instanzen von je her ein besonderes Interesse daran, das Lernen zu okkupieren und der Bevölkerung zuzuteilen.“
(Klaus Holzkamp, Lernen; subjektwissenschaftliche Grundlegung, 1993)

Bildung und Wissenschaft sind ein politischer Schwerpunkt des neoliberalen Crashprogramms ,,Wachsende Stadt“ des Hamburger Rechtssenates. Das ,,Hochschulmodernisierungsgesetz“, die Einführung von Studiengebühren, die ,,Leitlinien zur Umstrukturierung des Hochschulwesens“, die geplante Privatisierung von Berufsschulen, das Lehrerarbeitszeitmodell, die Schließung von Schulen und Vorschläge für kanonisierte Lehrpläne sind erste Maßnahmen für die betriebswirtschaftliche Umstrukturierung der Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen und ihre inhaltliche Ausrichtung auf den ,,Wirtschaftsstandort“ Hamburg.

Wesentlich angestrebt ist nicht nur der profitable direkte Zugriff auf die Ergebnisse des Erkenntnisprozesses, sondern auch die unmittelbar verwertungsorientierte Ausrichtung des Erkenntnisprozessses selbst. Gewolltes Ergebnis ist das sich selbst ausbeutende ,,Humankapital“ sowie die kulturelle Verankerung dieses Menschen- und Bildungsverständnisses. Das ,,lernende“ Individuum möge sich in Konkurrenz zu anderen schnell und unhinterfragt von außen gesetzte Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen, sich ,,freiwillig“ äußerlichen Anforderungen unterwerfen, um in scheinbar unveränderlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestmöglich und reibungslos zu funktionieren. Hierfür muß abgesehen werden von der Bestimmung eigener Interesssen, Bedürfnisse und gesellschaftlichem Nutzen. Dies soll durch die Konditionierung und Sanktionierung in den Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen realisiert werden.

Die Wissenschafts- und die Schulbehörde haben ein gemeinsames Konzept zur Neustrukturierung der Hamburger Lehrerbildung vorgelegt. Durch die Einführung des Bachelor/Master-Systems auch in der Lehrerbildung soll die Entwissenschaftlichung der Lehrerqualifikation vorangetrieben werden. In ,,berufsorientierten“ Kurzausbildungen sollen zukünftig Lehrer für die Grund-, Haupt- und Realschulen herangezogen werden. Ein Masterstudium ist nur noch für das Lehramt an Gymnasien und Berufsschulen vorgesehen. Gesamtschulen sind in dem Papier der Behörden gar nicht mehr existent. Mit der Differenzierung nach Schulformen und der Aufhebung der Gleichwertigkeit der Lehrämter, wird die - bereits in internationalen Vergleichen stark monierte - Selektionsorientierung des dreigliedrigen Schulsystems verschärft. Durch strikt standardisierte Lehrinhalte im Bachelor/Master-System (Modularisierung, credit points) soll eine reine Ausbildung sichergestellt werden. Die Didaktik als Vermittlungswissenschaft fachwissenschaftlicher Qualifikationen soll zurück in die jeweiligen Fächer verlegt werden, da für zukünftige Lehrer reduziertes Überblickswisssen in den Fächern als ausreichend betrachtet wird. Der Lehrer als Dompteur in der Dressurinstitution Schule.

Die Pläne des rechten Senates beinhalten einen umfassenden Angriff auf das in den 70er Jahren entwickelte und erstrittene ,,Hamburger Modell“ der wissenschaftlichen Lehrerbildung. Auf Grundlage der Forderung nach ,,Bildung für Alle“, die als Ermöglichung des offenen Zugangs zur Bildung und ihren allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen bestimmt war, wurde das ,,Pädagogische Institut“ nicht nur als Fachbereich Erziehungswissenschaft Teil der Universität. Durch die in die Erziehungswissenschaft integrierte Didaktik, die Gleichwertigkeit der Lehrämter, die Differenzierung nach Schulstufen (nicht Schulformen!) und das gleichzeitige wissenschaftliche Studium zweier Fächer, wurde die Einheit des fachwissenschaftlichen, vermittlungswissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Studiums als Voraussetzung für ein tatsächlich wissenschaftliches, die sozio-kulturellen Voraussetzungen der Lehrerbildung reflektierendes und auf die demokratische und entfaltungsorientierte Erweiterung bestehender Bildungsmöglichkeiten gerichtetes Studium realisiert.

Diese - durch restriktive Sparpolitik und mangelnde wissenschaftliche Weiterentwicklung - mittlerweile stark eingeschränkten Voraussetzungen sind gegen die Angriffe des rechten Senates zu verteidigen und auszubauen. Hierfür haben die Gremien der akademischen Selbstverwaltung zentrale Verantwortung und Bedeutung.

Der entscheidende Kampf ist um die gesellschaftlichen Aufgaben und Ziele von Bildung und Wissenschaft sowie ihrer Institutionen zu führen: Schulen und Hochschulen als Institutionen gesellschaftlicher Nützlichkeit zur umfassenden demokratischen Qualifikation für die kooperative Verfügungserweiterung der Mehrheit der Menschen sind die humane Perspektive.

,,Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein.“
(Bertolt Brecht: Leben des Galilei)

Mit diesem Ziel sollten Fähigkeiten, generelle Haltungen, Lebensgewohnheiten, Handlungsbereitschaften und Urteilskompetenzen der Individuen erlernt und gemeinsam entwickelt werden - insbesondere auch in den Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen.

V.i.S.d.P.: Olaf Walther & Golnar Sepehrnia, c/o Studierendenparlament, VMP 5, 20146 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg
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Veröffentlicht am Samstag, den 3. Juli 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_261.html