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Standortverräter

oder: Warum keiner merken darf, daß Kapitalismus auf Ausbeutung beruht.

"Daß der Arbeiter für seine Arbeit auch einen Lohn haben muß, ist eine Theorie, die heute allgemein fallengelassen worden ist."
(Kurt Tucholsky als Peter Panter, Kurzer Abriss der Nationalökonomie, 1931)

Der Kapitalismus ist in der Krise. Nicht daß die Profite ausbleiben würden. Die meisten der großen Konzerne, allen voran die Großbanken und kapitalstarken Beteiligungsgesellschaften, verzeichnen Rekordgewinne - oft zu Lasten anderer Unternehmen, die sie aufkaufen, um sie zu zerschlagen, auszuweiden und die Einzelteile mit erheblichen Spekulationsgewinnen wieder zu verkaufen - immer jedoch auf Kosten derer, die davon leben müssen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die nach belieben gefeuert und mit viel Glück woanders zu sehr viel schlechteren Bedingungen wieder eingestellt werden sollen, im Zweifel eben auch für nur einen Euro.

Nein, die Gewinne sprudeln durchaus noch. Was jedoch in Frage steht, ist das zentrale Dogma kapitalistischer Schönfärberei, die Behauptung: Wenn es 'der Wirtschaft' gut geht, dann geht es allen gut. Und weil nicht offenbar werden darf, daß Kapitalismus auf Ausbeutung beruht, werden die Interessenvertreter des Kapitals ganz furchtbar nervös, wenn ein Franz Müntefering mal ganz vorsichtig ein bißchen die schlimmsten Auswüchse dieser Ausbeutung kritisiert. Da kann selbst der ansonsten wenig beißgehemmte Arbeitgeberpräsident Hundt nur noch geifern. So wetterte dieser am Donnerstag, den 28. April in einer ZDF-Talkshow, er finde diese Kapitalismusdebatte "zum Kotzen", sie sei "hochgradig schädlich", weil sie Investoren verschrecke, und vor allem: "Das ist doch unpatriotisch, schlimmer geht's gar nicht."

Also mal wieder eine Dolchstoßlegende: Während 'die Investoren', voller Sorge um den Standort, nach Möglichkeiten suchen, das Land wieder fit zu machen für den Kampf auf dem Weltmarkt, kommen altbekannte Vaterlandsverräter an der Heimatfront daher und machen mit ihrem Soziaklimbim ganz unpatriotisch alles wieder kaputt, verschrecken das Kapital, das scheue Reh, und so weiter.

In Hamburg nennt man das fit machen für den Weltmarkt übrigens "Leitbild Wachsende Stadt". Und wenn dann, nachdem man doch alles für die Unternehmen getan hat und die Gewinne sich auch ganz prächtig entwickeln, trotzdem ein Konzern wie Continental daherkommt und seinen Konkurenten Phoenix in Harburg aufkauft um ihn abzuwickeln, so daß 2500 Leute um ihren Arbeitsplatz bangen müssen, dann tut der Bürgermeister von Beust sehr betrübt. Vielleicht wäre es nicht schlecht gewesen, diesen Investor zu "verschrecken"?

Um es sehr kurz zu machen: Kapitalismus bedeutet, einige wenige haben und die anderen arbeiten. Die ersteren verdienen viel Geld und wollen das das so bleibt, die anderen verzichten auf Lohn und dürfen nicht merken, daß sie verarscht werden, weil sie sich sonst zusammentun und das ändern. Das nennt man Klassenkampf, ganz unpatriotisch.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 1. Mai 2005, http://www.harte--zeiten.de/artikel_220.html