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Knet-Männchen für die Wachsende Stadt
„Ich habe mich über diese Befindlichkeiten hinweggesetzt [die von „Gewerkschaften, allen voran der GEW, Besitzstandwahrern und Bedenkenträgern“] und weiß mich darin von der gesamten Koalition unterstützt, [...]“
Senator Lange in „Unternehmen Hamburg – Gespräche im Elysee“ zum „Standortfaktor Bildung“, 6.10.2003.
Für die Attraktivität des „Schulstandorts Hamburg“ macht Senator Rudolf Lange (FDP) Bildungspolitik. „Deutschlands Rohstoff liegt in den Köpfen der Menschen“, und da will er ihn rausholen, denn „ein höherer Bildungsstand der Bevölkerung trägt zu einer deutlichen Steigung [sic!] der Arbeitsproduktivität bei“, so Lange in seiner Rede „Standortfaktor Bildung“. Dafür müssen „Input und Output“ des Bildungssektors stimmen, und dafür wird die Schulzeit verkürzt – „eine Forderung, die von Arbeitgeberseite schon lange erhoben wird.“
Des Admirals Menschenbild ist ein vollständig mechanisches: Um die Unterordnung der Einzelnen unter Ziele, die nicht ihre sind, zu erreichen, lobt er „Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen“, mit denen „Lehrkräfte handeln [können], wenn gute Worte allein nichts mehr nützen“ – der Rohrstock ist (noch) nicht dabei. So sollen nutzbare Fähigkeiten in die Menschen gefüllt werden, „bis das Kind seine Kompetenzen voll entwickelt und den seinen Fähigkeiten entsprechenden Abschluss erworben hat.“ Echte Entwicklung, gar Entfaltung, wird negiert, ein jeder soll sozusagen ausfalten, was ihm Mutter Natur gegeben habe. Unterschiedliche Fähigkeiten werden auf unveränderbare und damit nicht verändernswerte, letztlich biologische Ursachen zurückgeführt.
„Besonders lerneifrig sind Kinder im Alter von 3 -10 Jahren“ hat der Senator gelesen, daher will er früh anfangen Wissen einzutrichtern: „Diesen Wissensdurst müssen wir löschen.“ Womit er viel mehr Wahres sagte, als er wollte. Kinder lernen – wie Erwachsene – unentwegt im ständigen Ringen um Verfügungserweiterung: Sie suchen Wege, ihre Bedürfnisse immer besser befriedigen zu können, um mehr Freude am Leben zu gewinnen. Bedürfnisse, wie: mehr Kontrolle über den eigenen Körper erlangen, die Welt besser verstehen, um den eigenen Einfluss zu erweitern, sich selbst bzw. den eigenen Willen besser vermitteln können und andere besser verstehen, um mit ihnen gemeinsam mehr zu erreichen. Es sind ihre eigenen Bedürfnisse, nicht die ihrer späteren Arbeitgeber, die sie so „lerneifrig“ machen. Äußere Lernanforderungen, die wenig Erkenntnisse bringen, mit denen sich im eigenen Interesse handeln ließe, löschen den Wissensdurst eben statt ihn zu beleben.
Ganz dem Arbeitgeberleitbild entsprechend, was Lehrer zu ‚leisten‘ hätten, soll laut der von Wissenschaftssenator Dräger eingesetzten „Expertenkommission“ jede fortschrittliche Reform der Lehrerbildung torpediert werden. Zur Wahl steht, ob zukünftige Lehrer Pädagogik und ihr Fachstudium in aufeinander bezogener Einheit studieren, also so, dass die eigene Motivation und das eigene Erkenntnissinteresse im Studium reflektiert und ebenso an die Schüler im kooperativen Lehr-Lern-Verhältnis weitergegeben werden kann. Oder ob sich Lehrer im Schmalspur-Studium zügigst das nötigste Fachwissen aneignen sollen, um dann obendrauf Pädagogik als „soft-skill“ der reinen Vermittlungskompetenz zu studieren. Schülern Wissen einzutrichtern, das ihrer Emanzipation nicht dient, ist mit Lehrern der zweiten Art viel besser realisierbar, da sie ja selbst im Studium ihr eigenes Anliegen verdrängen mussten. Das gewünschte Ergebnis – in der Konkurrenz zueinander optimal verwertbare, weiter zu optimierende Schulabgänger für den „Standort“ – ist mit Lehrern der zweiten Art viel besser realisierbar.
Technische Errungenschaften zur Verbesserung des Lebens, den Aufbau allgemeiner sozialer Sicherheit, Erkenntnisse aus der Geschichte für die vernünftige Beantwortung aktueller Entwicklungserfordernisse, die Überwindung von Armut, Hunger und Krieg, all diese Anliegen lassen sich nur durch Kooperation Aller erreichen, nie individuell und gegen andere, nicht in der Schmalspur und durch „soft-skills“. Für die Entwicklung von Bedürfnissen und von Fähigkeiten zur Entfaltung der Einzelnen in der bewußten Gestaltung ihrer Lebensbedingungen ist die soziale Gleichheit Aller und die Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche notwendig.
Dies genau ist es, was der Rechtssenat zu verhindern versucht, denn die soziale Ungleichheit ist die Grundlage der Ausbeutung. Im Senatsleitbild „Wachsenden Stadt“ wird klar formuliert, dass es darum geht, die Stadt zu einem Service-Unternehmen umzufunktionieren, das der Privatwirtschaft alle Infrastruktur zur Verfügung stellt. Das sogenannte ‚Humankapital‘ bilde dabei die ‚wichtigste Ressource‘. Für das Ziel, im Dienste der Unternehmensbesitzer letztlich alle gesellschaftlichen Bereiche dem Markt zu unterwerfen, sollen Schule und Hochschule daher zu den ersten Feldern gehören, die daraufhin zugerichtet werden sollen. Was im neoliberalen Rechtssenat ansonsten vor allem darüber versucht wird, durch gesteigerte Konkurrenz und die so hervorgebrachte eigentätige Unterordnung unter äußere Ziele zu erreichen, versucht der konservative Liberale Lange mit stumpfer Züchtigung. Der Senator ist daher stolz, sich über historische Erfahrungen, kulturelles Erbe, soziale Errungenschaften, über die verallgemeinerbaren Interessen und somit über jeden Einzelnen hinwegzusetzen.
Die Bedingungen für kulturvolle Entfaltung jedes Einzelnen müssen solidarisch erkämpft werden. Die „Bedenkenträger“ müssen sich dafür in einem breiten Bündnis aus Hochschulen, Gewerkschaften, linken Parteien, der Friedensbewegung und den sozialen Bewegungen ihrerseits über die Befindlichkeiten der Profiteure der rechten Senatspolitik hinwegsetzten.