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Vergnügungen

Moderne Seminare, Bücher und Artikel in Zeitschriften wie z. B. der "Uniscene" verkünden unentwegt der studentischen Leserschaft: Wer "fit im Studium" sein will, für den ist "Zeit- und Selbstmanagement" das Gebot der Stunde - "zielstrebig zum Traumberuf". Effizienz und Effektivität, Konsequenz und Disziplin sind die propagierten Ziele der "optimierten Tätigkeit" -ein jeder sei das Instrument seiner eigenen ("wissenschaftlichen") Karriere. Der scheinbar sichere Verkauf der eigenen Ware Arbeitskraft soll mit Beginn des Studiums in den Blick genommen werden. Sich selbst verkaufen sei handlungsleitend bei der Auswahl von Vorlesungen, Seminaren, Praktika und Jobs. "Time is money" - so sollen "Prioritäten" gesetzt, der Tag nach fremdgesetzten Anforderungen strukturiert und zum "Ausgleich" Zeit zum "Kaffeetrinken mit Freuden" und für "Sport und Spaziergänge" reserviert werden.

Wer sein Studium nach diesen Maßgaben gestaltet, macht mit in der Konkurrenz - das ist die eigene wie allgemeine Bravheit und Anpassung. Die Folge ist die individuelle Hetze durch den Uni-Alltag und Gereiztheit im sozialen Miteinander. Seminare werden so zur lästigen Pflicht, die Lektüre wissenschaftlicher Texte wird zum Excercitium, und gemeinsame Referate und Gruppenarbeit sind dann nichts mehr als oberflächliches, pragmatisches "Teamwork". Wer sich hier durchkämpft, die Ellenbogen ausfährt und die eigenen Ansprüche an solidarischer, kultureller Entfaltung zurückschraubt, powert sich aus und braucht dann nach einem langen Uni-Tag oder als ,Belohnung' für eine überstandene Klausur zur einfachen Wiederherstellung seiner Kräfte einen möglichst schnell wirkenden Ausgleich. Entsprechende Etablissements bieten hierfür ein umfassendes Programm: Cafés, pseudo-gehaltvolle Kulturveranstaltungen, und zum ,Abtanzen' die passende Musik (auch hier wird ordentlich Reibach gemacht). Man bestätigt sich - in seiner Oberflächlichkeit, begießt im Trubel die simulierte Großartigkeit und bangt im Stillen. Wer hier "scheitert", "nicht klarkommt", verheimlicht dies am besten und bucht ein weiteres Seminar zum Thema "Zeitmanagement".

Diese Verklemmung der eigenen Bedürfnisse und Ansprüche hat mit solidarischer Kooperation, allgemeiner freundlicher Bezugnahme und Freude an Erkenntnistätigkeit nichts zu tun.
Dazu kann und muß "Nein" gesagt werden. Zu erkennen ist, daß die eigenen Fragen, Zweifel, Widersprüche und alternierende Erwartungen auch andere bewegen; zu begreifen ist die Allgemeinheit der sozialen und kulturellen Zumutungen, zu bestimmen sind positiven Wirkungsabsichten und daraus zu entwickeln ist die solidarische Kooperation miteinander und die kämpferischen Verallgemeinerung derselben. Hier fängt das Vergnügen der Gleichheit an. Entwicklung, sinnvolle Produktivität hin auf die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen werden zum bestimmenden gemeinsamen Dritten. Aus der reaktiven Getriebenheit wird der souveräne Kampf gegen die Verursacher der Angst, und man selbst zum Urheber des befreienden Ausblicks: umfassender friedlicher, gleicher und sozialer Verhältnisse.

Vergnügungen
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene alte Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein.”

(Bertolt Brecht, ca. 1954)

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Freitag, den 21. Januar 2005, http://www.harte--zeiten.de/artikel_212.html