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Erkenntnis ist Befreiung
"Das Experiment mit dem Titel Die neuronale Basis altruistischen Bestrafens, das es sogar auf die Titelseite von Science schaffte, basiert auf der Interaktion von zwei Individuen, die sich weder sehen noch kennen, und deren Gehirne von einem Positronenemissions-Tomographen überwacht werden. Person A und B erhalten je eine bestimmte Anzahl Geldeinheiten. Wenn sie sich gegenseitig fair verhalten, können sie ihr Vermögen zusammen erhöhen. Beide haben jedoch die Möglichkeit, sich auf Kosten des Anderen zu bereichern. Dies wiederum erlaubt es der betrogenen Person, den Betrüger zu bestrafen, was allerdings mit Kosten verbunden ist. Die Wissenschaftler konnten nun nachweisen, dass die Betrogenen diese Sanktionsmöglichkeit häufig anwendeten, obschon sie dafür bezahlen mussten, also keinen monetären Nutzen davon hatten.
Die Lösung für dieses in den Augen der Wissenschaftler rätselhafte Ergebnis liefert der Tomograph: In dem Moment, in dem sich eine Person für die kostenpflichtige Bestrafung entscheidet, wird im Gehirn der "Nucleus caudatus", das Belohnungszentrum, aktiviert. Wenn also Person A Person B für unfaires Verhalten bestraft, wird sie in ihrem Gehirn belohnt, was ihr ein Gefühl der Befriedigung verschafft."
(Aus: Urs Hafner, Primitive Reiz-Reaktions-Maschine, in: Freitag vom 7. Januar 2005, S. 18)
Jetzt sei es amtlich: Der Mensch sei natürlich sadistisch und beherrscht von asozialen Trieben. Herausgefunden haben will dies der mit Preisen überhäufte ,Wissenschaftler' Ernst Fehr, Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich, der mit seinem Ansatz, der "Neuroökonomie", nicht nur die Ökonomie, sondern auch "die politische Philosophie im Sinne unserer Sicht einer guten und gerechten Gesellschaft" umwälzen will: Gewinnsucht und der Kampf zur Überordnung über andere sei dem Menschen nicht nur in die Gene geschrieben, sondern bereite ihm auch Freude - dies sei die wahre Natur des Menschen, dies leite Politik und Ökonomie.
Unter kapitalistischen Bedingungen, wo nur Wenige die Mittel der Produktion und damit der Bedürfnisbefriedigung kontrollieren, konkurriert die Mehrheit um die Möglichkeit zum lohnversprechenden Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Hier liegt die Ursache der verbreiteten Vereinzelung und Entfremdung von den Inhalten der Arbeit (und des Lernens), von anderen Menschen und damit letztlich von sich selbst. Die dauerhafte - wirklich menschliche - Beunruhigung über diesen Mißstand befördert entweder die Kritik und solidarische Aktion wider diese Verhältnisse oder die kurzfristig erleichternde Flucht in oberflächliche Glücksmomente zum Beispiel durch ,Entertainment', ,Familie' oder einfach das erleichternde Gefühl, wenn schon nicht die Gesamtbedingungen des eigenen Lebens erquickend gestalten zu können, durch Manipulation, Belohnungen oder Bestrafungen ,verfügbare' Mitmenschen für die eigenen unmittelbaren Absichten dienstbar machen zu können. Das dieses von irrer Angst vor dem Verlust von Geltung und Integration getriebene Verhalten "human" sei an menschlichen Laborratten zu ,erforschen', soll beweisen, daß schon jeder Versuch fairer Kooperation, allgemein freundlicher Bezugnahme, kritischer Gesellschaftsveränderung und erweiterter Erkenntnis über die Ursachen der Unzufriedenheit unmenschlich sei. Wer ehrlich ist, ist der Dumme? Wer nicht beißt, ist nicht normal?
Wissenschaft ist was Wissen schafft: die stetig erweiterte Erkenntnis über die materiellen Bedingungen menschlichen Seins, die Entwicklung und Veränderbarkeit sozialer Zusammenhänge und die Möglichkeiten menschen-würdigender Kooperation zur Hebung der sozialen und kulturellen Verhältnisse aller bilden ihren positive Inhalt. Die Entfaltung des Menschen liegt in der Kooperation zur befreienden Erkenntnis.
"Über das Denken
Me-ti lehrte: Das Denken ist ein Verhalten des Menschen zu den Menschen. Es beschäftigt sich viel weniger mit der sonstigen Natur; denn zu ihr geht der Mensch stets den Umweg über den Menschen. Bei allen Gedanken muß man also die Menschen suchen, zu denen hin und von denen her sie gehen, dann erst versteht man ihre Wirksamkeit."
("Me-ti, Buch der Wendungen" Bertolt Brecht)