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Das „Hopp-hopp!“-Weltbild
„Ich möchte Student sein, um mir einmal anhand einer Wissenschaft langsam klarzumachen, wie das so ist im menschlichen Leben. Denn was das geschlossene Weltbild anlangt, das uns in der Jugend versagt geblieben ist – »dazu komme ich nicht« sagen die Leute in den großen Städten gern, und da haben sie sehr recht.
Und bleiben ewig Zaungäste.“
Kurt Tucholsky, „Ich möchte Student sein“, 1929. html
Das „Weltbild“ ist eine Frage des Standpunktes, von dem aus Einer die Welt betrachtet. Der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, hat auch einen: „Wie wir mit unseren Hochschulen umgehen und wie wir sie weiterentwickeln, ist kein Spezialistenthema für Bildungs- und Hochschulpolitiker. Hier geht es um die Veredelung unseres wichtigsten Rohstoffs, es geht um unseren hoch qualifizierten Nachwuchs. Das ist eine Standortfrage ersten Ranges und deswegen engagieren wir uns hier als Arbeitgeber.“ Sein Standpunkt ist der eines hochdotierten Managers und Lobbyisten des Großkapitals, das auch ein solches bleibt, wenn man es nicht so nennt.
In einer Hochschule nach den Vorstellungen der Herren „Arbeitgeber“ müsst’ es tatsächlich düster sein wie Untertage. Ihr „wichtigster Rohstoff“ wird abgebaut, mit ‚Wissen‘ angereichert, behauen, zerschmolzen und zerklopft, schließlich zurechtgebogen und an seinen Platz in der großen Werkhalle der Wissens-, Dienstleistungs-, Industrie-, Unterhaltungs- (undwasnichtnochalles) Gesellschaft gestellt. „Veredelt“. Effizient. Für den Standort: Hopp-Hopp!
Ob diese Leute wissen, dass ihre Metaphern genau das sagen, was sie meinen?
Ihr „hoch qualifizierter Nachwuchs“, also wir (Werden wir jetzt alle „Arbeitgeber“? Man hat doch auch seinen Stolz!), bedarf jedenfalls offensichtlich heftigster Bearbeitung, um zur kapitaldevoten Wissensmaschinen zu taugen: Der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger brüstet sich, die Werkzeuge dafür zu schaffen: Studiengebühren, Zwangsrausschmiss von sogenannten Langzeitstudierenden und politisch Mißliebigen, Auswahlrecht der Hochschulen bei den Studienbewerbern, Zulassungstests, Einschränkung der Möglichkeiten zur Nebenfachwahl, höherer Prüfungsdruck, politischer Maulkorb für die studentischen Vertretungen. Ein langer Repressionskatalog. Dazu: Abbau demokratischer Mitbestimmung zu Gunsten der Einflussnahme von Wirtschaftsvertretern auf die inhaltliche Gestaltung von Forschung und Lehre. Und zur Krönung wird aus allen medialen Rohren geblasen, die Studierenden hätten für ihre Bildung dankbar zu sein, weil doch jeder einzelne von der „Investition in seine Zukunft“ profitiere.
Das ist – mindestens – doppelt Quatsch: Erstens, weil diese Bildung dem Interesse der Arbeitgeber, also der Steigerung von Profiten dient (und deshalb auf die allgemeine Verdummung der Hochspezialisierten zielt) und nicht einer lebenswerten Zukunft für jeden. Zweitens, weil ohne hohe Qualifizierung vieler, heute überhaupt kein annähernd den gesellschaftlichen Bedarf deckendes Wirtschaften, kein zivilisatorischer Fortschritt mehr möglich ist und deshalb die Qualifizierung aller auch allen nützt. Jeder braucht das Lernen des anderen. Ohne das ist heute gar kein Staat mehr zu machen.
Dankbarkeit wofür also? Dass man uns benutzen will? Dankbarkeit für gesellschaftlich Notwendiges? Doch einfach „Nein!“ zu sagen, reicht nicht aus: Ohne klare gemeinsame Ziele lässt sich der Wirtschaftslobby, dem Senat und Mitläufern schwer anders als mit Anpassung oder verschrecktem Rückzug begegnen. Was man wollen soll ist klar, aber was wollen wir wollen?
Das Wirken für Frieden, soziale Entwicklung, kulturelle Entfaltung und ein Höchstmaß an demokratischer Beteiligung für jeden ist die gesellschaftspolitische Aufgabe jeder fortschrittlichen Wissenschaft und damit auch des Studiums. Interessante (weil im eigenen Interesse liegende) Studieninhalte, allgemeine Nützlichkeit der eigenen wissenschaftlichen Praxis statt Bezugslosigkeit und Sinnleere in Studium und Forschung, ein hohes kulturelles Niveau der (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung statt Zwangsreferate und Minutenzählen, Spaß an der Erkenntnis statt Angst vor Prüfungen, Freude an der Kooperation statt Panik vor den Konkurrenten, dafür soziale Absicherung statt Abhängigkeit – all dies muss und kann durch Engagement für Diskussion, Kritik und Entwicklung, mit Protesten, kritischen Veranstaltungen und der bewussten, solidarischen Gestaltung des Uni-Alltags praktiziert und erkämpft werden.
Mensch oder Rohstoff? Subjekt oder Objekt? Man frage sich immer, wem’s letzlich nützt!
„Mit welchem Resultat könnte man Studieren, wenn man es nicht mehr müßte? Wenn man es will! Wenn die Lehre durch weitgeöffnete Flügeltüren einzieht, anstatt durch widerwillig eingeklemmte Türchen, wie so oft in der Jugend!“ fragt Tucholsky. Mit buchstäblich unvorstellbar erfreulichem.
Es lohnt sich, unbeugsam zu sein! Dafür ist es nie zu früh.