Menü | HomePublikationenharte zeiten › Flugblatt Artikel 3 einer Zeitung vom

Menschenlese?

Für eine optimistische Kultur studentischer Widerständigkeit

"Nur wenn die Hochschulen das Recht haben, ihre Studierenden selbst auszuwählen, können sie Verantwortung für den Studienerfolg übernehmen. Ziele des Gesetzes sind eine deutlich höhere Studienerfolgsquote und damit auch gesteigerte Absolventenzahlen sowie mehr Profilbildung der Hochschulen."
(Wissenschaftssenator Jörg Dräger, Pressemeldung vom 30. März 2004)

Statt gesellschaftlichem Bedarf und der Nachfrage entsprechend (zig)tausende neuer Studienplätze zu schaffen, zwingt Wissenschafts- und Gesundheitssenator Dräger die Hamburger Hochschulen ab Sommersemester 2005 durch ein Zulassungsgesetz, zwischen den Studienbewerbern auszuwählen. Die Mangelverwaltung soll zukünftig zum weiteren Zurichtungsinstrument der kapitaldevoten Hochschulreform des Rechtssenats werden. Wo bisher Abiturnote oder Wartesemester den Zugang nach gleichen formalen Kriterien zum wissenschaftlichen Studium öffneten, soll nun ein Parcours aus Tests, Gesprächen und persönlichen Schreiben schon vor dem Studium die später "erfolgreichen" Absolventen aussieben. Die Auswahlverfahren werden über ein biologistisches und elitäres Menschen- und Gesellschaftsbild begründet. Die Behauptung, die Menschen seien quasi "von Natur aus" ungleich - also unterschiedlich "begabt" - soll die bestehenden sozialen Unterschiede verschleiern. So soll die Entwicklungslosigkeit von Mensch und Gesellschaft zementiert werden. Die Auswahl soll die eigentätige Unterwerfung unter die Anforderungen des Marktes belohnen. Getrieben und verängstigt sollen sich die Studierenden und Studierwilligen in Konkurrenz zueinander behaupten. Dies kennzeichnet die Hochschuldeformen des Rechtssenats.
Mit ihrem Programm der "Wachsenden Stadt" verfolgen von Beust und Konsorten handelskammergesteuert die Zurichtung von Menschen und Institutionen der Stadt auf die kurzsichtigen Gewinninteressen der konzentrierten privaten - oft rüstungsorientierten - Wirtschaft. Zukünftig soll nur gelernt und geforscht werden, was sich profitbringend verwerten läßt. Studiengebühren, Demokratieverbot, Kommerzialisierung und Privatisierung flankieren die totale profitdienende Verzweckung von Wissenschaft und Krankenversorgung und damit für die verdinglichende Normierung der Menschen. Die wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Hervorbringungen der Menschheit bergen dagegen die Möglichkeit, gleiche soziale Bedingungen aller zur solidarischen Entfaltung eines Jeden zu schaffen. Sie müssen in dieser Potentialität erkannt, entwickelt und verbreitet werden; soziale Absicherung, lebenslang offener Bildungszugang, solidarisches Lernen und kritischer Gesellschaftsbezug der Wissenschaften sind für die massenhafte Verbreitung dieser Erfahrungen und Erkenntnisse durchzusetzen. Die relativ demokratischen Massenhochschulen sind zu diesem Zweck frei von merkantilen Zwängen und staatlicher Bevormundung demokratisch weiter zu entwickeln und auch materiell für die soziale Öffnung für alle Menschen vorzubereiten. So ist Wissenschaftspolitik Gesellschaftspolitik für die allgemeine Hebung der sozialen und kulturellen Verhältnisse der Menschen.

Die Angst vor sozialer Deklassierung und der kulturelle und politische Druck zur verwertungs-angepaßten Lebensweise befördern die kulturelle Verarmung des gesellschaftlichen Lebens. Verdummung, rechte Seilschaftspolitik und kommerziell genutzte Flucht in betäubende Ablenkungs-"Kultur" sind auch an der Universität wahrnehmbarer Ausdruck dessen. Dagegen steht die Erfahrung wirksamer, wenn auch auszubauender studentischer Proteste, die zunehmende Verbreitung von Erkenntnissen über die gesellschaftlichen Ursachen der allgegenwärtigen Bedrängung und der artikulierte Unmut über die täglichen Zumutungen. Die kämpferische Verbreitung und Fundierung dieses Wissens für die solidarische, bewußte Gesellschaftsveränderung ist wesentliche Aufgabe der fortschrittlichen Kräfte in der Studierendenschaft. Die rigorose Kritik neoliberaler Dogmen, der Kampf gegen Rechts und die Bündnisarbeit mit anderen humanistischen Kräften an der Universität sind dafür wesentlich.
Die Lust zur Aufklärung und damit zur streitbaren materiellen Verbreitung notwendiger Auffassungen und Einsichten für die Erringung einer solidarischen Gesellschaft bilde eine widerständige studentische Kultur!

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 18. Oktober 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_199.html