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Bildung zum Nutzen Aller

Wie soll die berufliche Bildung reformiert werden?

"Die Wirtschaft verspricht sich von der Berufsschulreform mehr betriebliche Ausbildungsplätze, mehr Praxisorientierung und mehr Arbeitsmarktchancen für diejenigen, die ihre Ausbildung abschließen. Die Jugendlichen und auch die Schulen, so Dreyer, würden dabei nur gewinnen: »Denn die Lehrer können durch die enge Verzahnung mit der Wirtschaft ihre Inhalte noch gezielter der betrieblichen Realität anpassen.«"
(Presseerklärung der Handelskammer Hamburg, 24.8.2004)

Mit über 120.000 Unterschriften haben die Hamburgerinnen und Hamburger der Politik des Rechtssenats einen kräftigen Dämpfer versetzt, trotz der und gegen die Machtdemonstration des LBK-Verkaufs. Das Volksbegehren "Bildung ist keine Ware" richtete sich gegen eine materielle Säule dieser Politik, gegen die Wünsche der Handelskammer nach Privatisierung der beruflichen Schulen Hamburgs. Jetzt muß es zur Volksabstimmung kommen, vorzugsweise in Verbindung mit Neuwahlen, um die CDU als parlamentarischen Arm des Kapitals aus dem Amt zu jagen. Ein Scheitern der Privatisierungspolitik des Rechtssenates kann dessen Ende bedeten. Dafür sind die eigenen, fortschrittlichen Ansprüche für eine solidarische Politik in dieser Stadt und darüber hinaus vehement und präzise zur Geltung zu bringen.

Für die Reform der beruflichen Schulen ist deshalb die Frage zu beantworten: Wie sieht die humanistische Alternative zu der geplante Reduzierung der Auszubildenden auf vom Betrieb möglichst gut verwertbares "Humankapital" aus? Die reine Ablehnung der Kommerzialisierung und Entdemokratisierung der beruflichen Bildung, wie sie im Volksbegehren Ausdruck fand, reicht nicht aus, um dem häufig herbeigeredeten Gegensatz von Allgemeinbildung und beruflicher Qualifizierung beizukommen. Mit Denunziationen a la ‚Was nutzt die Philosophie beim Bedienen einer Fräsmaschine?' beißt die Handelskammer der Verblödung Bahn. Potentiell gesellschaftskritische Lehrinhalte, politischer Unterricht und gewerkschaftlich organisierte Interessenvertretung gelten als Förderung umstürzlerischer Umtriebe und sollen z.B. über die marktgerechte Modularisierung der Ausbildung verdrängt werden. Die Hoffnung der Handelskammer ist, daß unter dem schwer lastenden Druck des Ausbildungsplatzmangels und der Massenarbeitslosigkeit die "Kunden" Berufsschüler ihrer Schule schon "im eigenen Interesse" abverlangen werden, was unmittelbar die profitable Wertschöpfung aus ihrer Arbeitskraft erhöht.

Demokratische Bildungspolitik muß deshalb die sozialen und kulturellen Voraussetzungen dafür schaffen, daß alle Menschen sich entfalten können, ein bewußtes Verständnis der eigenen Gesellschaftlichkeit entwickeln, sich gesellschaftskritisch engagieren, befähigt sind, zu solidarischem Handeln, entwicklungsbefördernd an den Mitmenschen anteilzunehmen - zur humanen Gestaltung der ganzen Gesellschaft. Die gesellschaftlich-politischen und personal-emanzipatorischen Momente des Bildungsbegriffes der Aufklärung - nach Kant "die Befreiung des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit" müssen deshalb gegen das vorherrschende Verständnis von Bildung gewandt werden, das vermeintlich unpolitisch den Tauschwert der zu erwerbenden Qualifikation, die Gefälligkeit gegenüber dem zukünftigen Personalchef betont. Denn dieses Verständnis der Ausbildung und Arbeit dient der verunmittelbarten, gebeugten Praxis, Menschen als lebende Arbeitsmittel "anzuwenden". Nicht der Mensch, nicht sein Aufrichten, Denken, Handeln, seine Freundlichkeit, Kultur und gemeinsame Entwicklung ist im Kapitalismus Zweck der Arbeit, sondern der Unternehmensnutzen (Profit). Ausbeutung hat keine Würde; sie muß gegen die Bedingungen kapitalistischer Produktion erstritten werden. Als eine Voraussetzung humaner Arbeit, muß die (Berufs-)Schule das praktisch Erlernte auf eine umfassende theoretische Basis stellen und grundlegende Einblicke in das Wirtschafts- und Produktionswesen ermöglichen. Die "praktischen" Tätigkeiten und Kenntnisse werden erst zu einer sinnvollen Praxis, wenn sie auf die wirkliche gesellschaftliche Realität bewußt bezogen werden können. Der Anspruch berufsbefähigender Ausbildung muß deshalb vom Ziel allgemeiner, humanistischer Qualifizierung aufgehoben werden. Lehrende und Lernende müssen gleichberechtigt Inhalte und Methoden beruflicher Tätigkeit für die humane Bewältigung der Gegenwart und der Zukunft entwickeln. In diesem Sinn soll Kreativität gefördert werden. Die Wissenschaftlichkeit des Unterrichts orientiere sich an Brechts Galileo, der dafürhält, "daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühsal der menschlichen Existenz zu erleichtern". Es geht also um die Aneignung der Tatsachen und Zusammenhänge, Ursachen und fortschrittlichen Veränderungsmöglichkeiten in Gesellschaft und Natur. So aufgegriffen dient wissenschaftsorientierte Schulreform auch der Abschaffung der Trennung in Elite- und Volksbildung. Sie ist die freudvolle Alternative zu Indoktrination, Handgriffe-Training, Kanon- und Paukwissen des BWL-lisierten Lesen-Schreibe-Rechen-Drills wie Industrie- und Handelskammern in derzeit unermüdlich fordern. Die Verkürzung und Verfälschung des Prinzips der Wissenschaftsorientierung, bei der sich Wissenschaft allein als Ansammlung technologisch verwertbarer Kenntnisse begriffen wird, erfordert Kontra.

Wir wollen auf unserer Diskussionsveranstaltung mit dem Sprecher der DGB- Erfahrungen und Eindrücke aus dem Volksbegehren aus- und bewerten, die Gegnerschaft zum Rechtssenat anhand der unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsoptionen am Beispiel von Ziel, Inhalt und Methode der beruflichen Bildung vergegenwärtigen und daraus eine positive Reformperspektive für die berufliche Bildung bestimmen. Wer Interesse daran hat, ist herzlich eingeladen mit uns zu diskutieren:

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Donnerstag, den 23. September 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_192.html