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Student sein.
"Jeder lerne nur gründlich und ganz, was er für seinen Beruf lernen muß. Das Mehr ist für den Lebenszweck nicht förderlich, sondern störend und hinderlich. [...] Das Wissen über die Grenzen des Standes und Berufes hinaus macht vorlaut, anmaßend und raisoniersüchtig."
(Friedrich Wilhelm III: Die irdische Bestimmung des Menschen, 1840)
"Mit welchem Resultat könnte man Studieren, wenn man es nicht mehr müßte? Wenn man es will! Wenn die Lehre durch weitgeöffnete Flügeltüren einzieht, anstatt durch widerwillig eingeklemmte Türchen, wie so oft in der Jugend!"
(Kurt Tucholsky, Ich möchte Student sein, 1929)
Endlich an der Universität! Eine Vielzahl von Möglichkeiten und Freiheiten im künftigen Uni-Alltag im Gegensatz zum geregelten Schulprogramm erwarteten die Erstsemester ebenso wie alle anderen wieder. Die Erwartungen ans Studium und die Neugier sind hoch: egal ob Geistes-, Sozial-, Wirtschafts- oder Naturwissenschaften, das "mehr wissen wollen", die zukünftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem oder mehreren Fächern, mit zahlreichen Fragen und neuen Erkenntnissen und der Austausch mit Kommilitonen und Lehrenden ist die Essenz des Studiums. Entscheidende Relevanz für das eigene Leben erhalten Wissenschaft und Studium, wenn die in den Hochschulen Tätigen Antworten auf Probleme der eigenen gesellschaftlichen Existenz suchen und deren kooperative Verwirklichung anstreben. Massenarbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, internationale Konflikte, ein überholtes Wirtschaftssystem können aus vielerlei Disziplinen angegangen werden. Die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in der Gesellschaft hängt auch davon ab, inwieweit sich die Universität und ihre Mitglieder dafür verantwortlich sehen. Die Uni Hamburg hat sich dafür entschieden. In ihrer Grundordnung, der Universitäts"verfassung" bekennt sie sich "zu wissenschaftlicher Freiheit in gesellschaftlicher Verantwortung" und setzt sich "für eine humane, demokratische und gerechte Gesellschaftsentwicklung" ein.
Hier steht lebendiger Humanismus gegen den kapitalkonformen Technokratismus des Hamburger Wissenschaftssenators Jörg Drägers, dem auf den Vorschlag der Studierenden zur Bildungsfinanzierung (taz Unispezial) durch Vermögenssteuer und höhere Unternehmenssteuern die Haare zu Berge stehen und nichts mehr einfällt als die übliche Drohung von Kapitalflucht zu bemühen. Seine Vorschläge - flexiblere Arbeitsmarktpolitik, Sponsoring durch Unternehmen und die Privatisierung der gesellschaftlichen Aufgabe Bildung durch Studiengebühren - zielen darauf, gesellschaftliche Konflikte durch noch mehr Konkurrenz und Ungleichheit weiter zu verschärfen. Der 'Lebenszweck' von Studierenden in diesem 'modern'-rechten Sinn ist nichts anderes, als für die Wirtschaft gut verwertbare Wissensmaschinen zu werden. Um dies gegen die Bedürfnisse und Interessen der Studierenden durchzusetzten, müssen diese kräftig bearbeitet werden: im hoch restriktiven und selektiven Bachelor/Master-System soll vor allem die 'Masse' niedrigqualifiziert und die 'Elite' durch die Konkurrenz verdummt bleiben. Studiengebühren sollen den Druck auf alle Studierenden erhöhen - wer lange studiert soll als Sündenbock für die Missstände an den Universitäten herhalten. Der fortschrittliche Gehalt der Wissenschaften soll vollständig beseitigt werden, weswegen man sich schon von Anbeginn des Studiums abfinden solle mit bezugslosen und sinnleeren Studieninhalten, Zwangsreferaten und Klausurmarathons, Angst vor Prüfungen, Panik vor den Konkurrenten und finanzieller Abhängigkeit.
Hamburgs Studierende haben sich im letzten Semester für den Kampf gegen die Hochschulreformen des Rechtssenats entschieden und
im Streik eigene Ziele und Forderungen formuliert und in die Öffentlichkeit getragen. Die Beteiligung am gemeinsamen Räsonieren für Frieden, sozia-
le Entwicklung, kulturelle Entfaltung und ein Höchstmaß an demokratischer Beteiligung für je-
den durch Diskussion, Proteste, kritische Veranstaltungen und gemeinsame solidarische Gestaltung des Universitätsalltags öffnet die "Flügeltüren" der Wissenschaft und des eigenen Studiums.