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Panik ums Profitwohl

Saskia Esken: In unserem Grundgesetz ist angelegt, dass sowohl Enteignung als auch Vergesellschaftung Mittel sind, die dem Staat und der Gesellschaft an die Hand gegeben werden, um den verantwortlichen Umgang mit Eigentum zu gewährleisten. Wären das komplett spinnerte Ideen, würden sie nicht in unserer Verfassung stehen.
Spiegel: Wo wäre es sinnvoll?
Esken: Ich nenne mal den Wohnungsmarkt. Das Wohnen ist bei uns mehr und mehr zum Spekulationsobjekt geworden, dabei sollte es ein Menschenrecht sein. Wir haben die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum zu sehr dem Markt überlassen – heute wissen wir, dass das ein Fehler war. Schauen Sie sich die Stadt Wien an. Die hat das nie aus der öffentlichen Hand gegeben, heute steht sie ganz anders da. Ähnliches gilt für die Versorgung mit Wasser und Strom, die wir gewährleisten müssen.“

Spiegel-Interview mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken: „Der Demokratische Sozialismus ist eine positive Vision“, 10. Januar 2020.

Jetzt gibt’s wieder Sturmböen im Blätterwald. Schriller Alarm! Die SPD-Vorsitzende verteidigt die Zielvorstellung des „Demokratischen Sozialismus“ und nimmt das Grundgesetz ernst. Das kann nicht sein! Das darf nie wieder!

„Deutsche Arbeiter – die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen!“ – ironisierte schon in den 1970er Jahren der Künstler Klaus Staeck eine ähnliche mediale Kampagne, gegen damalige Pläne zur gesetzlichen Beendigung der Steigerung von Bodenpreisen und Mieten. Diese nötige Reform kam zum Stillstand. Die Preise für Bauland sind deshalb in Deutschland seit 1962 um 2.300 Prozent gestiegen. Privatisierungen, Spekulationen und Leerstand tun in den letzten drei Jahrzehnten Erhebliches dazu, dass Wohnen unbezahlbar ist.

Die SPD-Parteivorsitzende will das nicht gelten lassen und deutet vorsichtig an, dass das nicht vermehrbare Gut „Grund und Boden“ am besten dem Allgemeinwohl dient, wenn es Gemeineigentum ist.

Das ist die Sache: Anstelle der absurden Dynamik des Kapitalismus, in dem für wachsende Profite alles ver- und ausgezehrt wird, die Lebensquellen der Menschen in gemeinsames, staatlich verfügtes und möglichst demokratisch verwaltetes Eigentum zu bringen. Das ist die Grundlage sozialer Demokratie und fand nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang ins Grundgesetz. Denn da war die Erkenntnis gereift, dass Marktkräfte und Konkurrenz des Kapitalismus immer wieder alle Versuche der gelinden demokratischen Bändigung und sozialen Zähmung wegfegen werden. Nie wieder Faschismus – das ist der Ursprung der Vergesellschaftungsformel im Grundgesetz – bedeutet: Nie wieder soll sich eine Machtelite über die Lebensinteressen der meisten skrupellos hinwegsetzen können, nicht politisch und auch nicht ökonomisch. Zusammenhänge, die in Zeiten von AfD-Erfolgen zu erinnern lohnen!

Wer sich kraftmeiernd gegen die neue „SPD-Diktatorin“ empört, tut dies eher nicht zurecht, sondern nur aus Mangel an Argumenten. Zwar war bisher auf die über 70 Jahre lang in der Bundesrepublik systematisch gepflegte Paranoia vor Sozialismus für die Herrschenden und ihre Lohnschreiber immer Verlass bei der Verunglimpfung von Menschen und gesellschaftlichen Alternativen. Aber das ändert sich jetzt. Der Kapitalismus ist im Alltag hier und erst recht in globaler Dimension einzigartig fürchterlich. Die Suche nach einer menschenwürdigen Alternative (rückblickend und vorwärtsweisend) hat längst begonnen und muss intensiviert werden. Streit um eine gute Entwicklung für alle ist dringend nötig. Nicht Hass bringt sozialen Sinn und Schönheit hervor, sondern Sympathie.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 13. Januar 2020, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1471.html