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Verändern lernen

„Ziel universitärer Lehre ist es, Bildung durch Wissenschaft zu ermöglichen. Das schließt die Aufgabe ein, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Studierenden hohe wissenschaftliche Kompetenz erwerben, ihre Fähigkeiten selbsttätig entfalten und sich als mündige Mitglieder der Gesellschaft weiterentwickeln können, die bereit und in der Lage sind, an deren sozial und ökologisch nachhaltiger, demokratischer und friedlicher Gestaltung maßgeblich mitzuwirken und für ihre Zukunftsfähigkeit Verantwortung zu übernehmen.
Grundlage der universitären Lehre ist das Humboldt’sche Bildungsideal der Einheit von Forschung und Lehre. Lernendes Forschen, lebenslanges Lernen und die argumentative Verständigung auf wissenschaftlicher Grundlage sind wesentliche Merkmale dieser Lehre.“

Leitbild universitärer Lehre der Uni Hamburg, gültig seit 2014. html

Wer kennt das? Und wer findet das im Studienalltag wieder?

Vielfach gibt es Lehrveranstaltungen in dem ernsthaften Bemühen, diese menschenfreundliche Ambition einzulösen. Zugleich ist aber weiterhin das Gegenteil überall vorhanden, wahrscheinlich die Regel: Permanente Prüfungen und Leistungsdruck, sehr stumpfes Pauken, wenig überzeugende Lehrinhalte sowie Seminare, die kaum interessant sind, Anonymität und – besonders verstörend – die unausgesprochene Anleitung, sich permanent zu verstellen.
Das muss und sollte nicht so sein.

Die Themen, Fragen, Herausforderungen für interessante Lehre und ein bewegendes Studium, in dem sich Persönlichkeiten in solidarischem, verantwortlichem Arbeiten entfalten können, springen einen aus jeder Nachrichtenmeldung an. Sie berühren alle Wissenschaften.

Das kommt am besten zur Geltung, wenn Studierende einfordern, dass die „Erleichterung der Mühsal menschlicher Existenz“ (Bertolt Brecht) und eine inspirierende, lebensbejahende Hinwendung zum globalen Geschehen und den internationalen Mitmenschen Alltag werden. In allen Fächern.

Niemand muss wirklich erst 4 Semester ohne zu kleckern Reagenzgläser schubsen oder in künstlich beleuchteten Räumen Übungszettel pauken, niemand muss mental vor Rechtsdogmen in die Knie gehen oder Sprachen exerzieren, um dann – irgendwann – in die Nähe wirklich relevanter Fragestellungen, Muße zur systematischen Vertiefung, hilfreicher Zusammenarbeit, diskursiver Weiterentwicklung, kollegialer Verständigung – kurz: wissenschaftlicher Arbeit – zu gelangen. Wissenschaftlichkeit erfordert auch „Handwerkszeug“, aber keine Schinderei! Wissenschaftlichkeit ist eine menschenzugewandte, kritische, auf Erkenntnisse und Aufklärung gerichtete Haltung. Sie lässt uns – zuweilen streitbar – kooperativ und verantwortlich der Wahrheit auf den Grund gehen.

Eine umfassende Erneuerung universitärer Bildung macht dafür die vollständige Überwindung der neoliberalen Deformation des Studiums, wie sie insbesondere seit Einführung des Bachelor-/Mastersystems gilt, nötig. Gesellschaftliche Verantwortung und selbstbewusste Entfaltung der Persönlichkeiten sind Gegenbewegungen zu einer auf Kürzungen, Kreditpunkte und Kennzahlen ausgelegten Ausbildungssystematik, die der Ideologie von „europäischer Wettbewerbsfähigkeit gegen die ganze Welt“ folgt. Die Aktivitäten von etlichen Mitgliedern der Universität für eine grundlegende Studienreform reißen deshalb nicht ab.

Dringende Reformen sind: die erhebliche Reduzierung der (benoteten) Prüfungen, die Abschaffung aller Fristen sowie die Begrenzung von Prüfungsversuchen, die Ausweitung des Projektstudiums, die umfangreiche Schaffung freier Wahlbereiche und ein selektionsfreier Übergang vom Bachelor zum Master. Dafür müssen auch gesetzliche und soziale Grundlagen geschaffen werden und dafür braucht die Universität wesentlich mehr öffentliche Mittel. Das sind zentrale Aufgaben für das Studierendenparlament, den AStA und auch im Akademischen Senat, die verstärkt wieder aufgegriffen werden müssen.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 13. Januar 2020, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1470.html