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Nicht weniger als eine bess’re Welt

„Die australischen Brände haben ihren Ursprung (…) in der Beziehung zwischen europäischer Expansion und Industrialisierung, Kolonialismus und Kapitalismus. Es ist das koloniale Wirtschaften an sich, das nicht nachhaltig ist, es nie war. Endloses Wachstum ist auf der endlichen Erde nicht möglich. Entweder muss man das Wachstum begrenzen oder neue Planeten finden. Science-Fiction in Medien und Politik träumt von der Kolonisierung des Weltalls, um den schwierigen Schritt zu vermeiden. Wer daran nicht glauben mag, sollte mit der Dekolonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft beginnen.“

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer (Historiker an der Uni Hamburg): „Australien im Feuer des Kolonialismus“, Süddeutsche Zeitung (Gastbeitrag), 10.01.2020, html.

Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU) hat jüngst bei einer Festrede (Essen als Kulturhauptstadt) verkündet: „Wir brauchen eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft.“ Er sieht zutreffenderweise durch gesellschaftliche Kritik und Veränderungsambition die kapitalistische Ordnung bedroht. Diese wird in (West-)
Deutschland traditionell mit dem Begriff „soziale Marktwirtschaft“ umschrieben. Da ist die Forschung schon weiter ...

Derselbe Horst Köhler musste 2010 eilig vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten, weil er in einem Interview ausplauderte, dass „ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, (…) zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern.“ (Deutschlandfunk Kultur, 22. Mai 2010, html, mp3.)

Uups. Krieg und Ausbeutung für unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand?
Dieses „Wir“ existiert genauso wenig, wie eine aus sich heraus „soziale“ Marktwirtschaft.

Es gibt diejenigen, die mit Raubbau an der Natur, mit Kriegen, mit dem Verkauf und Export von mehr oder weniger sinnigen Produkten, mit Ausbeutung billiger (oft migrierter) Arbeitskräfte und mit Spekulation auf all dies einen riesen Reichtum und Macht anhäufen.

Und es gibt die überwiegende Mehrheit, die dabei heute kulturell und materiell eher verarmt und die nicht durch pur individuelles „Nicht-mehr-mitmachen-wollen“ aus diesem globalen System austreten können.

Die konservative Suggestion, „wir“ – Unternehmer, Militärs, Studierende, Sekretärinnen und Krankenpfleger, Ingenieure und Textilarbeiterinnen – müssten alle zur ökologischen Rettung der Welt auf Wohlentwicklung verzichten, dient vor allem dem Erhalt des kapitalistischen Wirtschaftens. Die Leute sollen Angst kriegen vor einer vernünftigen ökologisch-sozialen Wende; so wie die Behauptung perpetuiert wird, Abrüstung und Frieden vernichteten Arbeitsplätze.

Unsere Interessen sind aber nicht dieselben wie die der Aufsichtsräte und Aktionäre von Siemens, BMW, ThyssenKrupp und E.ON. Deren „Verzicht“ wäre der Gewinn der allermeisten Menschen: Verlieren sie ihr unternehmerisches Eigentum, das Kommando über die Arbeit von Millionen Menschen in aller Welt, die Entscheidungsgewalt darüber, was wo wie produziert wird und verlieren sie die Möglichkeit, sich um die sozialen Voraussetzungen von Arbeit nicht zu kümmern und die ökologischen Folgen der Produktion zu ignorieren, wäre allen gedient. Wo ihre Macht endet, beginnt Demokratie erst wirklich. Wenn das Verzicht sein soll – bitte sehr!

Um die Zurückdrängung privater ökonomischer Macht geht es: Für Arbeit, Forschung, Lehre und (Aus-)Bildung, die zur Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse nach Gesundheit, guter Ernährung, Kultur, Wohnen, Mobilität usw. dienen – in diesem und in jedem weiteren Jahrhundert. Ohne Wachstum der Profite, aber mit Wachstum der gesellschaftlich organisierten Humanität, der globalen Solidarität, der Kreativität und Lebensfreude. Auch bereits gewonnene Erkenntnisse (z.B. zur nachhaltigen Energiewirtschaft, Ernährungssicherung, Rüstungskonversion) könnten dann zum Allgemeinwohl eingesetzt werden.

In dieser Perspektive liegt heute die elementare Energie von sozialen Bewegungen und das Potential von Wissenschaft. Am besten sind wir alle gestaltende Akteure und Akteurinnen dieses Umbruchs.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 13. Januar 2020, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1469.html