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Vernichtungskrieg.

"Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist."

(Auszug aus "Befehl zur Kriegsgerichtsbarkeit 13.5.1941", Chef OKW Keitel)

Das Hamburger Institut für Sozialforschung hat den Vernichtungskrieg zum Thema gemacht. Es organisierte auf Grundlage seiner Forschung eine Ausstellung mit dem Titel "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944." . Diese Ausstellung ist seit 1995 durch 32 Städte Deutschlands und Österreichs gereist, über 700 000 Besucher haben sie bereits gesehen. Vom 1.6. bis zum 11.7. wird sie in der Hamburger Freien Akademie der Künste gezeigt. Wie in den meisten Städten zuvor, wird es auch hier wieder Proteste der konservativen bis neofaschistischen Rechten geben. Für den 5.6. ist ein NPD-Aufmarsch angekündigt.

Die Ausstellung stellt dar, daß die Wehrmacht als Institution an Planung und Durchführung des Holocaust beteiligt war, ja in vielen Fällen selbst initiativ wurde. Damit bricht sie mit der langlebige Legende von der "Sauberen Wehrmacht", deren Angehörige nichts von Judenverfolgung und rassistisch motivierter Ausbeutung osteuropäischer Länder gewußt haben wollen. Nicht allein die etwa 500 000 Angehörigen der SS, nicht nur einige Offiziere, nein die Institution Wehrmacht war an der Durchführung der "Endlösung der Judenfrage", d.h. dem systematischen Mord an sechs Millionen Menschen beteiligt.

Die Ausstellung dokumentiert Kooperation von Wehrmacht und SS ebenso, wie die eigentätig von der Wehrmacht betriebene "Säuberung" Serbiens von Juden, sie zeigt, daß die Wehrmacht - gegen alle geltenden Regeln des Völkerrechts - 3.3 Millionen russischen Kriegsgefangenen umgebracht hat, ebenso wie sie in Kauf nahm, daß Millionen Ukrainer und Weißrussen durch ihre Besatzungspolitik und Plünderungen verhungern mußten. Die Ausstellung zeigt auch, wie die Opfergruppe der "deutschfeindlichen Elemente", die es zu beseitigen galt, auf die Zivilbevölkerung der Ost und Süd-Ost-europäischen Staaten ausgeweitet wurde - der Vernichtungskrieg eskalierte. Und sie belegt die propagandistischen Verschleierungen und "Legitimationen", die das ermöglichten. Vielleicht am grausamsten dokumentiert sie die perverse Phantasie der Täter bei ihrer Suche nach ökonomischen Vernichtungsmethoden: erschießen, verbrennen, vergasen, verhungern lassen, zu Tode prügeln, erhängen, foltern und Zwangsarbeit.

Sie zeigt aber vor allem, daß in allen Ebenen der militärischen Hierarchie - vom Oberbefehlshaber bis zum Gefreiten - die "Politik" der Vernichtung nachvollzogen, umgesetzt, teilweise die konkrete Ausführung sogar angeregt wurde. Das bedeutete, daß alles Leben im Osten, soweit es den "deutschen Herrenmenschen" nicht dienstbar zu machen war, ausradiert werden mußte.

Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und Österreicher fanden diese Tatsachen bisher keinen Niederschlag. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn bei 18 Millionen Männern in deutschem Waffenrock - und 500 000 Frauen - befand sich in jeder zweiten Familie ein potentieller Kriegsverbrecher. Da fragt man lieber nicht, vor allem dann nicht, wenn man keine zehn Jahre später deren geballte Sachkompetenz in Kriegsfragen zwecks Wiederbewaffnung braucht.

Aber was ist fünfzig Jahre später? Tiefvergrabene Erinnerungen der Zeitzeugen, ebenso wie die nie beantworteten Fragen ihrer Kinder bekommen jetzt öffentlich Ausdruck . Es wird immer unausweichlicher festzustellen, daß eben nicht nur ein paar rassistische Monster das "Volk" verführt, gezwungen oder belogen haben, sondern daß es massenhafte Zustimmung zum Nationalsozialismus gegeben haben muß.

Wer hinschaut, wird erkennen, daß der Vernichtungskrieg, den die Wehrmacht im Osten führte, integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Rassenpolitik war. Nationalsozialismus bedeutet Vernichtung.

Die Ausstellung gibt Anstoß, sich darüber auseinanderzusetzen, wie eine so breite Zustimmung dazu möglich war und warum "ganz normale Männer" zu Tätern werden konnten. Sie beantwortet aber nicht die Frage nach individuellen Motivationen der Täter und deren gesellschaftlicher Bedingtheit. Auch sagt sie nichts über die Konsequenzen, die aus dem Nationalsozialismus und seinem Krieg zu ziehen sind.

Nur wenn man aber in öffentlicher Diskussion die Ursachen für Nationalsozialismus und Krieg klärt, kann aus der Geschichte gelernt werden.

Die ewig Gestrigen, die noch immer jede Beteiligung der Wehrmacht an NS-Verbrechen leugnen, dürfen deshalb nicht unwidersprochen ihre Geschichtsklitterung treiben und auch nicht ihre rassistische, deutschnationale, kriegsgeifernde Propaganda kundtun. Immer wieder müssen wird deutlich machen, daß grenzenlose Konkurrenz Voraussetzung für nationalistische Expansion, Rassismus, Krieg und Vernichtung ist.

Erst wenn soziale Gerechtigkeit und Freiheit verwirklicht ist, wird ein friedliches Zusammenleben aller Menschen ermöglicht.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 2. Juni 1999, http://www.harte--zeiten.de/artikel_146.html