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In Wirklichkeit: Die Grenze des Zynismus sind die Menschen
„Wer zuerst schlägt, stirbt als Zweiter, setzt die verrückte Bereitschaft zum eigenen Ende voraus. Mit anderen Worten: Die Theorie der Abschreckung war eine unverwendbare geworden. Praktisch bedeutete dies, dass Sicherheit voreinander nur noch stimmte, solange sie nicht erprobt wurde. Die abstrakte Konsequenz hieß dann also: Sicherheit voreinander muss durch Sicherheit miteinander ersetzt werden.“
Egon Bahr: „Erfahrungen mit Wissenschaftlern und die neuen Herausforderungen für die Europäische Sicherheit: Chancen für Rüstungskontrolle und Abrüstung“ (Rede am 9.7. 2015), in: „60 Jahre Russel-Einstein-Mainfest: Remember Your Humanity and Forget the Rest! Herausforderungen für die nukleare Abrüstung“, VDW, Juni 2016.
Der Spiegel kommentierte die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen mit der Überschrift „Diesen Kampf wird die Menschheit wohl verlieren“ und schloß den Artikel den Worten „Aber man wird ja noch träumen dürfen.“ Unrealistische Hoffnungen weicher Gemüter? Zu zart für den Ernst der Welt? Reißaus nehmend vor der Realität? Abstand suchend in wolkigem Idealismus?
Wenn auf „Deutschlands führender Nachrichtenseite“ so viel Herablassung demonstriert wird, lohnt es sich zu schauen, was sie so geärgert hat:
Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) wurde vor zehn Jahren als Graswurzelbewegung gegründet. Die Verhandlungen zum Nuklearwaffensperrvertrag waren festgefahren, weil die Atommächte ihre Verpflichtung zur Abrüstung ignorierten. Ziel der Kampagne ist die Abrüstung aller Atomwaffen. Als wichtiger Zwischenschritt wurde am 7. Juli 2017 erreicht: 122 Staaten beschlossen in den Vereinten Nationen einen Atomwaffenverbotsvertrag. Dieser verbietet es den Unterzeichnerstaaten Atomwaffen zu entwickeln, zu testen, herzustellen, zu beschaffen, zu besitzen, zu lagern, zu stationieren, einzusetzen, mit ihnen zu drohen, sie weiterzugeben und anzunehmen oder Dritte zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen dies zu tun.
Erreicht wurde dies von einem breiten Bündnis von Friedensbewegten, dem Roten Kreuz, Wissenschaftler*innen, Theolog*innen, Parlamentarier*innen und Überlebenden der Atombombeneinsätze. Gemeinsam hoben sie die unakzeptablen Folgen von Atomwaffen ins Bewußtsein und drängten auf Konsequenzen. Jetzt muss sich vor der Weltgemeinschaft rechtfertigen, wer die Bombe besitzt. Ein Schritt zur umfassenden nuklearen Abrüstung.
Die Geschichte zeigt, daß ähnliche Kampagnen schon erfolgreich waren, beispielsweise die zum Verbot von Landminen oder zur Ächtung chemischer und biologischer Waffen. Die Staaten, die diese Machtmittel eingesetzt haben, waren nie die, die den ersten Schritt zu ihrer Abrüstung gemacht haben. Gleichwohl ist sie in diesen Bereichen mittlerweile international weitgehend durchgesetzt.
Die Befreiung von den Atomwaffen ermöglicht eine ganz andere Entwicklungstendenz der Menschheit: Für die derzeitige Modernisierung ihres Atomwaffenarsenal planen die USA geschätzte 1 Billion US-Dollar einer sinnvollen Verwendung zu entziehen. Das entspricht fast dem Bruttoinlandsprodukt Rußlands in einem Jahr. Hier lassen sich also ganz praktisch und real enorme Kräfte befreien: sozioökonomisch, intellektuell, ökologisch, für die Ernährung und die Gesundheit aller Menschen. Es geht um mehr als die Vermeidung des größten Horrors. Es geht um eine Welt ohne Elend und Angst.
Unmittelbare Schlußfolgerungen hierzulande sollten sein: Abrüstung der etwa zwei dutzend US-Atomwaffen in Büchel, wie es der Bundestag 2010 bereits gefordert hat, Beendigung des Trainings der Bundeswehr für den Einsatz dieser Waffen und Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags. Dafür muß der öffentliche Druck weiter wachsen. Am bundesweiten Aktionstag der Friedensbewegung am 18. November 2017 ist für alle dazu eine neue Gelegenheit.