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Zwischen Otto und Heine – Soziale Ortskunde
„Die 80 reichsten Hamburger – Alle zusammen verfügen über so viel Vermögen, dass die Hansestadt fünf Jahre lang ihre öffentlichen Ausgaben davon bestreiten könnte.“
Hamburger Abendblatt: Die 80 reichsten Hamburger, Magazin-Beilage, 14./15.10.2017.
„Die Stadt Hamburg ist eine gute Stadt; lauter solide Häuser. Hier herrscht nicht der schändliche Macbeth, sondern hier herrscht Banko. Der Geist Bankos herrscht überall in diesem kleinen Freistaate, dessen sichtbares Oberhaupt ein hoch- und wohlweiser Senat.“
Heinrich Heine: Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski/Kapitel III, 1834.
Vor dem Hamburger Rathaus steht ein Denkmal des Dichters Heinrich Heine. Hinter dem Rathaus steht die Handelskammer, die Interessenvertretung der Unternehmer und ehemalige Börse. Die Spannung ist enorm.
Der Senat legt Wert auf Präsentation. Dazu gehört auch, dass seit kurzem Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender der Otto-Group, Ehrenbürger der Stadt ist. Die Ottos sind die reichste Hamburger Familie (13 Mrd. Euro Vermögen). Eine Vermögenssteuer zahlen sie nicht, denn eine solche Steuer gibt es in der Bundesrepublik nicht. Der Reichtum der Ottos fußt ursprünglich auf dem „Otto-Versand“. In Zeiten rasant steigender Löhne und Sozialleistungen zwischen 1949 und 1975 war Großhandel ein sehr gutes Geschäft. Längst sind zahlreiche neue Tochterfirmen hinzugekommen. Sie agieren international; zum Beispiel „EOS Inkasso“. Der Laden nimmt horrende Gebühren dafür, für Ottos oder andere Auftraggeber Schulden bei Kunden einzutreiben. Diese rutschen dadurch schnell in die Armutsfalle. (Mittlerweile treibt EOS auch Rückforderungen der Bundesagentur für Arbeit bei Arbeitslosengeldempfängern ein.) Ebenfalls zur Otto-Group gehört „Hermes Europe“, eine Transportfirma. Hier fahren sogenannte „Selbstständige“ in Uniform Waren von Großhändlern zu Kunden, schleppen im Akkord, ohne Tarif, ohne Stundenlohn, auf eigenes Risiko. „Otto – find’ ich gut!“
So ziemlich alles, was eine gelingende Gesellschaft ausmacht, ist in einem gründlich verbesserungswürdigen Zustand: Bildungsstätten, Wohnmöglichkeiten, Krankenhäuser, Kulturorte, Sportplätze, Grünanlagen, Verkehrswege und internationale (Wirtschafts-)Beziehungen. Auch sind gute Arbeit und aufgeklärte Teilhabe an Demokratie und Kultur mit Stress, Armut und Vereinzelung nicht vereinbar.
Wer glaubt also noch die überkommenen wirtschaftspolitischen Doktrinen: Staat: schlecht – Privat: gut? Steuern: schlecht – Deregulierung von Märkten und Arbeitsverhältnissen: gut? Staatliche Ausgaben: schlecht – staatliche Schulden, noch schlechter?
Unzufriedenheit, Kritik, Engagement gegen unsoziale Ideologien und entsprechend politisch gemachte Zustände richten sich somit am besten auf eine bedarfsgerechte Finanzierung öffentlicher Einrichtungen ohne „Schuldenbremse“, soziale Progression, kulturelle Prosperität und Offenheit – und damit zugleich auf eine strukturelle Begrenzung privater Gewinnschneiderei.
In diesem gesellschaftlichen Kontext widmet sich die Universität am „Dies Academicus“ der Frage einer vernünftigen Hochschulfinanzierung. Es nahen Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft. Qualifizierter Protest mit erhöhten solidarischen Ansprüchen der Vielen steht an. Das ist Wissenschaft in Bewegung: Aufklärung mit sozialem Sinn!