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Kontobewegungen
Die Auseinandersetzung ist inzwischen reichlich betagt: Sollen an Hochschulen Studiengebühren erhoben werden oder nicht, soll es in jedem Bundesland eine eigene Regelung geben - oder aber ein bundesweites Verbot von Studiengebühren. Nun soll es eine bundeseinheitliche Regelung geben, die nur noch ein Regelstudium ohne Studiengebühren vorsieht und Gebühren als Lenkungs- und Disziplinierungsinstrument nicht mehr ausschließt. Ein generelles Verbot von Studiengebühren hatten SPD und Grüne vor der Bundestagswahl versprochen - mit guten Gründen.
Studiengebühren machen aus der öffentlichen Angelegenheit Hochschulbildung eine Privatangelegenheit - die man sich leisten kann oder eben nicht. Letzteres trifft natürlich Finanzschwache - bestehende soziale Ungleichheit wird also verstärkt. Es ist auch kaum einzusehen, warum Studierende für ihre Qualifikation selbst aufkommen sollen, wenn es doch ein allgemeines Interesse an hoher Qualifikation gibt: Nicht zuletzt in der Wirtschaft, wie die Debatte um "Greencards" für EDV-Spezialisten jüngst gezeigt hat. Dies gilt um so mehr, als das objektive Erfordernis, bestimmte Kompetenzen zu gewinnen (z.B. Ausbildung neuer Mediziner) ja nicht bedeutet, daß für jede/n am Ende ein Job und Karriere warten. Von Studiengebühren als Investition in die eigene Karriere zu reden, ist daher naiv oder zynisch.
Doch beim Streit um die Studiengebühren verlaufen die Fronten quer zu den Parteigrenzen. Zwar ist es die CDU gewesen, die in Baden-Würtemberg mit Studiengebühren vorgeprescht ist, doch mit einiger Verspätung konnten sich allerdings auch einige sozialdemokratische Landesregierungen (unter anderem in der blitzsauber sozialen und demokratischen niedersächsischen Heimat von Bundeskanzler Schröder) das Erheben von Gebühren nicht verbieten lassen.
Studienfinanzierung und soziale Spaltung
Dies geschah alles unter der steten Beschwörung, man wolle selbstredend keine sozialen Hürden vor dem Bildungszugang errichten. Die gibt es allerdings bereits. Um den Hochschulzugang vom Privileg weniger Begüterter zur realen Möglichkeit für alle zu machen, wurde in den 70er Jahren das BAföG eingeführt, eine staatliche Ausbildungsfinanzierung für Finanzschwache. Doch seit Jahrzehnten geht die Förderung zurück. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes sank der Anteil der BAföG-Empfänger in Hamburg allein zwischen 1991 und 1998 von 32% auf 16 % der Studierenden: Minus 48%. Der Grund: Es wurden Freibeträge für die Anrechnung von Elterneinkommen gesenkt, Förderbeträge der Preisentwicklung nicht angepaßt, und die verzinste Teilrückzahlung (bis zu 70.000 DM!) des BAföG eingeführt. Folge: Zwischen 1982 und 1994 ist der Anteil von Studierenden aus einkommensschwachen Schichten von 23% auf 14% gesunken. Soziale Selektion gibt es also schon ohne zusätzliche Gebührenhürden.
Auch die jüngst verkündete BAföG-Erhöhung von 2% wird kaum dazu führen, das es bei der sozialen Zusammensetzung der Studierendenschaft zu einer Trendwende kommt. Mit Gebühren, welcher Art auch immer, wird offensichtliche soziale Ungleichheit beim Bildungszugang verschärft.
Das Problem ist nicht, daß die Bundesregierung diesbezüglich schlechten Willens wäre. Aber beim BAföG ist es einfach so, daß die SPD den Ehrgeiz hat, sowohl die Staatsfinanzen zu sanieren, als auch Steuergeschenke an Industrie und Banken zu machen. Bei dieser Prioritätensetzung bleibt für soziale Belange leider nicht so viel übrig, wie nicht wenige Wähler es vor der Wahl dem SPD-Wahlprogramm zu entnehmen meinten. Das nennt man in der Politik Sachzwang, und einen solchen gibt es jetzt auch in Sachen Studiengebühren.
Studienkonten statt Gebührenfreiheit
Damit es netter klingt: Das Erststudium soll gebührenfrei bleiben. Hamburgs grüne Wissenschaftssenatorin Krista Sager nennt die Einführung von Strafgebühren für Intensivstudenten eine "qualitative Weiterentwicklung" der bisherigen Ablehnung von Studiengebühren (taz v. 19.2.00). Geplant ist ein sog. Studienkontensystem, das Studierenden die Wahrnehmung von Hochschulveranstaltungen bis zu 200 Semesterwochenstunden ermöglichen soll. Damit soll ein "Normalstudium" abgedeckt sein.
Kleiner Schönheitsfehler für Optimisten: Es gibt keine staatliche soziale Leistung, die in den letzten Jahren nicht beschnitten worden wäre. Man darf also bereits jetzt Wetten abschließen, ab wann die Zahl der garantierten Semesterwochenstunden reduziert wird.
Ein weiteres Problem: Das Studienkonto soll auch die Wahrnehmung von Weiterbildungsmaßnahmen kostenfrei gewährleisten. Wer schnell studiert, kann also später dank Studienkonto gebührenfrei Weiterbildungsmaßnahmen an Hochschulen wahrnehmen. Wer über den Tellerrand hinausguckt, Veranstaltungen in anderen Fächern wahrnimmt, muß das in Zukunft als Wettbewerbsnachteil begreifen - spätestens, wenn sich Personalchefs für die verbleibende Größe des Gebührenkontos interessieren (spart schließlich Geld für das Unternehmen). Mit anderen Worten: Durch das Studienkontensystem wird ein Schmalspurstudium belohnt.
In diesem Sinne erklärt die grüne Wissenschaftssenatorin Krista Sager, es ginge um einen "Anreiz, das Studium besser und effizienter zu organisieren."
Richtig ist, daß durch das Studienkontensystem keine unmittelbare Gebührenbelastung entsteht. Auch, daß es nicht um eine Quelle zur Hochschulfinanzierung gehen soll. Vielmehr geht es darum, Studierenden anzugewöhnen, daß man sein Studium möglichst schnell und ohne Abweichung vom kürzest-möglichen Weg zu absolvieren hat. Die Wahrnehmung von Lehrveranstaltungen ist in dieser Logik weniger Eröffnung von individuellen Entwicklungsmöglichkeiten als das Aufbrauchen eines Bildungsguthabens. Studium als Kontobewegung. Diese Abrichtung auf ein Schnellstudium durch Ökonomisierung des Bildungszugangs bleibt zu bekämpfen, egal ob man uns Studiengebühren abknüpfen oder ein Studienkonto aufdrängen will.