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Ist Entbehrung („Austerity“) wissenschaftlich?
„Das italienische Problem muss anderswo liegen. Und der Reformbedarf am Ende womöglich eher beim folkloristischen Ökonomieverständnis hiesiger Protagonisten. Von Stabilität allein entsteht ja keine Dynamik - logisch. Nach Rechnung der OECD könnte Italiens Wirtschaft heute um vier Prozent stärker wachsen - mit den vorhandenen Mitteln. Ohne Reformbrimborium. Wenn nur die Konjunktur in Gang käme.
Hier liegt das eigentliche Drama. Die Kehrseite des Zurückhaltens und Kürzens ist nach aller Erfahrung, dass zu wenig Geld ausgegeben wird und Unternehmen keinen Grund haben zu investieren. Was wiederum einen Gutteil der Dauerkrise erklären dürfte.“
Thomas Fricke: „Sind die Italiener die besseren Deutschen?“, Spiegel-Online, 2.12.2016.
Zu den verärgernden Plänen und Praktiken der „Eliten“ gehört – neben Militäreinsätzen, Demokratieabbau, polizeilicher Repression – die sogenannte: „Austeritätspolitik.“ Ihr Dogma: staatliche Investitionen aus Krediten würden zu endloser Staatsverschuldung führen. Daher müsse der Staat bei Bildung, Krankenhäusern, Theatern, Sozialleistungen oder der Erhaltung von Straßen, Parks und Gebäuden „sparen“.
Das ist offenkundig falsch. Die Staatsverschuldung ist höchstens dann ein Problem, wenn sie durch exorbitante Bankenrettungen und zugleich Steuersenkungen für die Reichsten extrem hochgetrieben wird. Beides ist vermeidbar, indem die Staaten zerstörerische Spekulationen verbieten und eine gründliche Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung betreiben.
Darüber hinaus fördert eine menschenfreundliche Sozialpolitik, die die Arbeit schützt und Sozialleistungen sowie den öffentlichen Dienst gründlich finanziert, höhere Einkommen, Konsumausgaben und damit wieder staatliche Einnahmen. Dann verbietet sich aber alles „den Märkten“ und der Willkür unternehmerischen Handelns zu überlassen.
Die Marktgläubigkeit hat ihre „philosophische“ Quelle im Mythos vom „homo oeconomicus“, also den Wirtschaftssubjekten, die permanent und kalt ihren Nutzen maximieren. Märkte würden – weil alle einzig so handelten – stets zum Gleichgewicht tendieren.
In jüngerer Zeit (in der Ära des „Neoliberalismus“) wurde dieses ohnehin zweifel- und krisenhafte Modell vom ökonomisches Handeln auf jede menschliche Regung, auf Bildung, Gesundheit, Kultur, soziales Handeln, übertragen: Der Mensch investiere jede geistige und kulturelle Kraft nur in seinen Vorteil gegenüber anderen.
Dieser Mythos von der Natürlichkeit des Egoismus soll eine profitfreundliche Politik rechtfertigen, die die Lebensverhältnisse der Mehrheit stranguliert, statt sie zu verbessern. Das andauernde Gerangel im Marktgeschehen sei menschliche Freiheit.
Das ist vielfach herrschende Lehre in den Wirtschaftswissenschaften. Sie entbehrt allerdings jeden Wirklichkeitsgehalts: Schon seit frühester Zeit sind die Grundlagen menschlicher Gesellung die kooperative Arbeit, gemeinsame Verantwortlichkeit, die Verallgemeinerung von Erkenntnissen und Empathie: Frühe Höhlengemälde zeugen nicht nur von der gemeinsamen Jagd, sondern auch vom Bedürfnis nach Verstehen, Aufrichten, Lernen, Lehren und gemeinsamen Gestalten zum Wohlergehen und Wohlgefallen der Menschen.
Menschliches Leben ist Leben in Gesellschaft. Alle sind für alle verantwortlich. Wird dies als Möglichkeit wahrgenommen, ist ein zivilisiertes, produktives Zusammenleben kein Traum, sondern Tat-Sache.
Aufklärung zur menschenwürdigen Veränderung der Welt statt Mythenbildung ist da ein wirksamer Faktor für Verbesserungen, die wir alle brauchen. Das sollte auch bei der Studienreform leitend sein.
„WÜRDE DES MENSCHEN
Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen,
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.“