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Neue Tendenz

Wörtlich und tatsächlich: Soziale Demokratie

„Seine Positionen sind im politischen Establishment verpönt, finden aber in der Gesellschaft großen Anklang: Corbyn will die britischen Trident-Atomunterseeboote einmotten, er will die Kriegspolitik des Königreichs beenden, er will eine andere EU. (...) Gegen die immer gleichen Erzählungen von Tories und New Labour setzt er eine einfache Botschaft: Es gibt praktikable Alternativen zur Austeritätspolitik (...). Der neue Labour-Vorsitzende verspricht nicht weniger, als die Austeritätspolitik in all ihren Ausprägungen zu beenden – durch die Abschaffung der von New Labour eingeführten und von den Tories radikal in die Höhe geschraubten Studiengebühren, durch ein Ende der Kürzungen im Sozialhaushalt sowie durch die Erhöhung des Mindestlohns und der daran gekoppelten Sozialleistungen. (...) In diesem Wahlkampf wirkte Labour wie die Massenbewegung, aus der die Partei einst entstanden war.“

Michael Krätke: Corbyns Sieg: Hoffnung für Europas Linke?, Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2015. html

Jeremy Corbyn, der neue Vorsitzende der britischen Sozialdemokratie „Labour“, ist seit langem Aktivist der Friedensbewegung, der Gewerkschaftslinken, vielgehaßter Abgeordneter im Unterhaus und galt daher bis vor kurzem nicht als „new“.

„New“ – das war „Labour“ mit Tony Blair (sowie die SPD seit Gerhard Schröder): „Wir wollen eine Gesellschaft, die erfolgreiche Unternehmer ebenso positiv bestätigt wie erfolgreiche Künstler und Fußballspieler und die Kreativität in allen Lebensbereichen zu schätzen weiß. (…) Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln.“

Diese Glaubenssätze aus dem Schröder/Blair-Papier von 1999 mündeten in der Zustimmung zu allerlei „Auslandseinsätzen“, ungehemmter Exportpolitik, steuerlicher Begünstigung der Reichsten und großen Unternehmen, Deregulierung von Banken und Hedgefonds, Minderung von Sozialleistungen, Abschottung und schließlich: Austerität.

Mental wurde die „Eigenverantwortung“ heraufbeschworen: Hinter diesem beschönigenden Codewort verbirgt sich Geringschätzung für gesellschaftliche Solidarität, Internationalismus, Erweiterung demokratischer Partizipation und sozial progressives Engagement.

Dieser „moderne“ Schwenk der europäischen Sozialdemokratien hat sich nicht bewährt. Er ist unsozial, ohne Sympathie und nicht gerade zivil.

Das wirkliche Leben verlangt nach einer anderen Politik, die die Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit zur Geltung bringen kann. In Großbritannien, Portugal und selbst auf der anderen Seite des großen Teichs, in Kanada, erlebt daher eine Sozialdemokratie, die auf friedliche Konfliktlösung, soziale Investitionen, demokratische Bewegungen und internationale Offenheit setzt und die Kontroverse mit den Gewinngrößten und Rechten nicht scheut eine Renaissance. Große Koalitionen und ein Festhalten an der Politik mit dem Rotstift („Schuldenbremse, Fiskalpakt, Austerität) sind da ausgeschlossen. Wohltat statt Plage.

Mit dieser Wendung, von „unten“ begonnen, mit einigem Geschichtsbewußtsein und Courage gegen Unrecht und spießige Leistungsnormen, ist also auch hier ein Weg aus der Sackgasse zu finden.

Alles bleibt veränderbar.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 3. November 2015, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1300.html