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Stellungnahme der harten zeiten zum Dohnanyi-Peiner-Maier-Papier

Was meckert der Bock, dass der Garten kahl sei?

Kommentar zu einer überflüssigen hochschulpolitischen Intervention

„Es geht auch darum, dass die Hochschulen sich selbst als Einzelinstitution und als Teil des Hochschulstandorts Hamburg dem Wettbewerb national und international stellen, im Rahmen ihrer Mittel mutig und entschlossen ihre Profilbildung vorantreiben und auch eine Leistungsverpflichtung für die Gesellschaft akzeptieren. Das verlangt Führung und nicht lamentieren.“

Klaus v. Dohnanyi (SPD), Willfried Maier (Grüne), Wolfgang Peiner (CDU), „In Sorge um Hamburg – Warum unsere Stadt ihre Bedeutung nur als Wissenschaftsmetropole sichern kann“, April 2014.

„In der verkehrten Welt wird gearbeitet viel,
Jedoch mit ganz verkehrtem Ziel!
Der Technik Wunderwerk und Riesenkraft
Fast alles nur für Krieg und Luxus schafft,
Für Zerstörung baut und für die Reichen,
Und nicht ein Wunderwerk für die Armen und Bleichen.
Und doch wäre es ein Kinderspiel,
Allen zu geben, gut und viel!
Die Lager schier bersten vor guten Sachen –
Doch in Nöten leben, die sie machen!“

Kurt Tucholsky, „Die verkehrte Welt“, 1922.

Aus Anlass der Diskussion um die Zukunft der Hochschulen haben sich Klaus von Dohnanyi (Unternehmen Hamburg), Wolfgang Peiner (spiritus rector der Verwachsenen Stadt) und Willfried Maier (grün) zu Wort gemeldet [1]. Einig in der Befürwortung des Neoliberalismus und ungetrübt durch Kenntnisnahme aktueller gesellschaftspolitischer und langfristiger ökonomischer Entwicklungen schlagen sie Alarm wegen eines angeblich drohenden Absinkens Hamburgs in der Weltkonkurrenz. Die Hochschulen seien dagegen weiterhin für ein gewinnorientiertes Rattenrennen der „Standorte“ zu positionieren.

Funktion dieser atemlosen Stimmungsmache ist, erstens alle anzutreiben, sich frei von sozialen und demokratischen Ansprüchen mehr anzustrengen und zweitens damit die anstehende humanistische Wende der (Hochschul-)Politik in der Stadt mit ideologischem Mumpitz aufzuhalten.

Diese realitätsfernen Äußerungen stehen im Gegensatz zu den Erfordernissen gesellschaftlich verantwortlicher Hochschulen und weichen der problemlösungsorientierten Diskussion an den Hamburger Wissenschaftseinrichtungen aus: Gerade bezogen auf die derzeitige Novellierung des Hochschulgesetzes betonen nämlich die Mitglieder der Bildungs- und Forschungsstätten die (potentiell) global zivilisierende Bedeutung ihrer Einrichtungen – und fordern deshalb die konsequente Abwendung von dem Leitbild „unternehmerischer Hochschule“.

Wahrheit, Humanität, Gerechtigkeit sowie Frieden, Nachhaltigkeit, kritische Reflexivität und Demokratie sind die Leitlinien vernünftiger Wissenschaft und Bildung. Daraus wird abgeleitet, Lehre, Studium und Forschung – also die Kernaufgaben der Hochschulen – von den Verwertungsdogmen des Bologna-Prozesses, der Drittmitteljagd und betriebswirtschaftlicher Überwachung zu befreien. (Gerade für diese Deformationen hatte v. Dohnanyi im Auftrag des CDU/Schill/FDP-Senats mit einer nach ihm benannten Kommission 2003 das politische Marketing übernommen.) Wissenschaft soll dem Leben und den internationalen Mitmenschen zugewandt mehr und mehr Leute für mündige Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung bilden – anstatt marktfrommen Worthülsen („Wettbewerbsumfeld“, „Cluster“, „Logistikdrehscheiben“, „Finanzdienstleister“ und „venture capital“, alles: „In Sorge um…“) nachzujagen. Dafür brauchen die Hochschulen aber wieder demokratische Strukturen und eine auskömmliche öffentliche Finanzierung, die fächerübergreifende Kooperation und wissenschaftlichen Meinungsstreit fördern [2].

Mit diesen Positionen wird seitens der Studierendenvertretungen, Gewerkschaften und Hochschulgremien jetzt bereits die notwendige Abkehr von jener bevölkerungsfeindlichen Politik praktiziert, die die „besorgten“ Apologeten der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Forschung und Wissenschaft“ zu verantworten haben. Und dabei wird ein reichhaltiges Erbe bewusst und selbstkritisch aufgegriffen: die durch eine antimilitaristische Revolution und parlamentarische Demokratisierung ermöglichte Universitätsgründung 1919; die dagegen selbstverantwortete Unterstellung in der Nazizeit; die Befreiung zur (unzureichenden) bürgerlichen Neugründung und ersten Öffnung zwischen 1945 und 1967 sowie die Ära großer Reformen und Hochschulgründungen im Kontext weltweiter sozialer Aufbrüche, Entspannungs- und Reformpolitik.

Die aktuellen Reformbemühungen an Hamburgs Hochschulen sind ein Lernen aus dieser Geschichte und die praktische Alternative zum krisenursächlichen „Weiter so“. Sie stützen sich dabei auf die gesellschaftliche Einsicht, dass wissenschaftliche Erkenntnis zum Fortschritt der Menschheit nur beitragen kann, wenn international zusammengearbeitet wird. An die Stelle des „Höher-Schneller-Weiter“ im Wettbewerb standortpolitischer Provinzialität soll deshalb (wieder) Weltoffenheit, Wahrhaftigkeit und Wissenschaftlichkeit gesetzt werden. Das ist rundweg zu befürworten und zu befördern und muss auch bei der Novelle des Hochschulgesetzes neue Konsequenzen zeitigen.

Die vorgetäuschte Anteilnahme der Ehemaligen dient hingegen lediglich fremdem Interesse. Das Gärtnern sollte den Gärtnerinnen und Gärtnern überlassen werden.

[1Zur Kritik am Leitbild „Wachsende Stadt“ und dessen Fort- und Durchführung vergleiche: http://www.wachsenderwiderstand.
de und insbesondere: http://www.wachsender-widerstand.de/wachsender-widerstand.pdf

Veröffentlicht am Montag, den 14. April 2014, http://www.harte--zeiten.de/dokument_1274.html