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,,Faulheit“?

Ein Plädoyer für wahrhafte Sozialstaatlichkeit

,,Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft!“

Gerhard Schröder (SPD, Bundeskanzler a.D.) in ,,Bild“, 2001.

,,Die Tendenz, an eine gerechte Welt zu glauben, kann als fundamentale Täuschung bezeichnet werden und lässt sich am besten durch das Sprichwort »Jeder kriegt, was er verdient« auf den Punkt bringen. (...) Personen, die an eine gerechte Welt glauben, neigen demnach zu Überzeugungen wie »Wer keine Arbeit hat, ist selbst schuld«. Die Realität ist freilich viel komplexer.“

Philip Frieg, Rebekka Schulz: Hartz IV-Empfänger nicht ,,faul“, Ruhr-Universität Bochum, 2014.

Arbeitsmarkt ist nicht gerecht. Gewerkschaften haben deshalb den Sinn, Lohn und zudem Arbeitszeitverkürzung, Arbeitsschutz, Weiterbildung, Mitbestimmung (auch über den Inhalt der Arbeit) solidarisch - gegen das Gewinninteresse der Unternehmer - zu erkämpfen.

Darüber hinaus sollte einst der Sozialstaat das von der Mehrheit erarbeitete Volkseinkommen tendenziell in Arbeit, Bildung, Wissenschaft, Kultur, Gesundheit, Wohnen und Infrastruktur für die Bevölkerung investieren. Dafür wurden von den Gewinngrößten auch kräftig Steuern verlangt. Das war praktizierte Aufklärung, die heute viele wieder verstärkt einfordern.

Mit Einführung der ,,Agenda 2010“ wurde dem Staat hingegen zugewiesen, alle Bürgerinnen und Bürger durch ein vor-aufklärerisches System von Belohnung und vor allem Strafen ins Hamsterrad immer schlechter bezahlter Erwerbsarbeit zu treiben. Dafür wurde die sozialdarwinistische Einschüchterungs-Propaganda von den ,,faulen“ und ,,unsozialen“ Erwerbslosen aus der ideologischen Mottenkiste geholt. Seither gelten ,,Hartz-IV“-Empfänger als gesellschaftliche Versager - derweil private Gewinne tüchtiger Aktienbesitzer spekulativ zum Schaden aller explodieren.

Die Studie der Ruhr-Uni Bochum ,,zur berufsbezogenen Persönlichkeit von Arbeit Suchenden und Berufstätigen“ klärt dagegen auf: Die Psychologen belegen, ,,dass Arbeit Suchende nicht weniger Ehrgeiz bzw. Willen zur Leistung zeigen als die Vergleichsgruppe.“ ,,Arbeitslose sind in gleichem Maße freundlich“ und ,,in der Lage, sich für etwas zu begeistern“. Es mangelt ihnen ,,nicht an Durchsetzungsstärke oder Selbstbewusstsein“. Jedoch: ,,Arbeitslose“ würden ,,durchschnittlich weniger darauf abzielen, Führungsaufgaben wahrzunehmen“ und hätten wenig ,,Neigung, in berufliche Wettbewerbe einzutreten.“ Diese Ergebnisse beleuchtet den Zynismus des mit ,,Hartz-IV“ etc. deregulierten Arbeitsmarktes: Der Mensch komme nicht kritisch und kooperativ voran, sondern nur im Gegeneinander mit Seinesgleichen. (Analogien zum Zeitgleich mit der ,,Agenda 2010“ eingeführten Bologna-System sind kein Zufall).

Dabei ist diese Ideologie schon anthropologisch Käse. Der Mensch hat sich durch kooperative Arbeit entwickelt, nicht durch Konkurrenz. Heute ist die gesellschaftliche Konkurrenz (der Individuen und der ,,Standorte“) ökonomisch, ökologisch, wissenschaftlich, kulturell, sozial und mental ersichtlich destruktiv. Das ist die Krise - lösbar:

,,Wollen wir es schnell erreichen
brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich läßt seinesgleichen,
läßt ja nur sich selbst im Stich.“

Bertolt Brecht, Solidaritätslied, 1931.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 10. März 2014, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1250.html