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Faschismus als Pausenfüller?

Jedes Jahr erleben wir das gleiche Bild: Politiker fahren in den Urlaub und lassen ihr Wahlvolk und die Medien ohne politischen Zeitvertreib zurück - Sommerloch. Um dieses Loch zu stopfen wird jedes Thema genutzt. Dieses Jahr: Der Rechtsextremismus.

Auf einmal sprechen alle über die neusten Übergriffe Rechtsextremer und fordern die gesamte Bevölkerung zu Zivilcourage auf. Diejenigen aber, die seit längerem gegen Rechts aktiv sind, fragen sich, warum erst jetzt die Diskussion in so breiter Öffentlichkeit geführt wird.
Festzustellen bleibt, daß Neofaschismus, rechte Gewalttaten und Geschichtsrevisionismus in Deutschland nichts Neues sind. Zwar liegen Solingen, Mölln und Rostock schon einige Zeit zurück, doch es ist nicht zu leugnen, daß die Schändung von Gedenkstätten der Opfer des Faschismus und Gewalttaten gegen AusländerInnen, Obdachlose oder AntifaschistInnen an der Tagesordnung sind. In Hamburg treten faschistische Gruppen seit über einem Jahr wieder regelmäßig auf. Deshalb gibt es antifaschistischen Widerstand, und das nicht erst seit gestern. Immer wieder stellten sich antifaschistische Gruppen marschierenden Neonazis in den Weg und versuchten über die Geschichte, die Gefahren und die Ursachen der erstarkenden Rechten aufzuklären. Die 'Unterstützung' des Staates war regelmäßig ein rigides, oft gewalttätiges Eingreifen gegen die AntifaschistInnen - noch Anfang Juni wurden in Altona GegendemonstrantInnen verprügelt und festgenommen.

Warum erlangt "Gegen-Rechts-Sein" jetzt Kampagnentauglichkeit? Weil in den
Ferien Großreinemachen ist. Ordnung und Sauberkeit für der Standort Deutschland! Der
ist in Gefahr, wenn es hier gar zu häßlich
zugeht, wenn mehr von Rechten zu hören ist als "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" oder
daß Asylsuchende Sozialschmarotzer
seien. Dann und wann einen totgetretenen Ausländer, Obdachlosen oder Behinderten kann der Standort noch verkraften. Die aktuelle Häufung solcher Untaten bringt
aber Unternehmen zu der Frage, ob ihre Mitarbeiter denn hier sicher seien, handelt
es sich doch oft um die Kategorie der "nützlichen Ausländer", die unlängst der bayerische
Innen-minister prägte. Hier scheint die "Schmutz"-Grenze erreicht. Er reiht sich ein
in die Koalition der Bürger, wie auch
die Handelskammer Hamburg, die selbst seit
langem eine "Bettler- und Obdachlosenfreie Innenstadt" fordert. Und auch Innenminister Schily trug mit seinem "Das Boot ist voll"-Spruch nicht gerade
zur Entspannung bei. Wer aber eine solche Meinung als öffentliche Person vertritt, schafft gewollt oder ungewollt Akzeptanz für mörderische Hetzjagden auf Obdachlose und AusländerInnen.

Wenn Unionsfunktionäre als erste das
Verbot von NPD und DVU fordern, bleibt
der Schale Beigeschmack der ausschaltende Konkurrenz unter Rechten. Ebenso bei
der Diskussion um Einschränkungen
des Demonstrationsrechts: Alle, die gegen
rechte Aufmärsche und Gewalttaten in den
letzen Jahren aktiv waren, wissen, daß
die Phalanx der Innenminister, die das befürworten, mit Verboten gegen linke Demos selten zimperlich waren. Gibt man ihnen entsprechende juristische Mittel an die Hand, werden sie es in Zukunft noch weniger sein. Und die Krämer reiben sich die Hände: Ruhige Städte - klingelnde Kassen.

Um so wichtiger, daß wir alle jetzt die
gestiegene öffentliche Kritik an rassistischen
und faschistischen Umtrieben nicht auf
Grund laufen lassen, wenn die Tagespolitik
es ermöglicht und an der justiziablen Oberfläche des braunen Sumpfes erfolgreich
herumgedoktort wurde. Um diesen auszutrocknen, reicht es nicht aus, die extremsten Auswüchse zu kappen, sondern man muß
die Ursachen angehen. Eine ist - und sie führt
zur aktuellen Eskalation rechter Gewalt - die gesellschaftliche Entwicklung, die bedingungslose Konkurrenz zum Grundprinzip
erklärt. Der Ruf nach "Leistungsbereitschaft", "Konkurrenzfähigkeit" und
der Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften, der alle darauf zurückwirft, bei ungleichen Bedingungen im Kampf um soziale Sicherheit, Arbeit und Bildung bestehen zu müssen, bedeutet eine Brutalisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Die primitive,
aber konsequente Zuspitzung dieser neoliberalen Ideologie ist die hemmungslose Hetze
und Gewalt faschistischer Demagogen und Schläger.

Nicht die weitere Entrechtung der Opfer rechtsextremen Terrors (Verschärfung der Ausländer- und Sozialgesetzgebung, restriktivere Abschiebepraxis oder Platzverweise an Obdachlose) sind die Lösung. Notwendig ist eine grundsätzliche politische Umorientierung: Solidarität statt Konkurrenz!

Dafür in der alltäglichen Praxis zu streiten erfordert tatsächlich Zivilcourage.

Mit Polizeichrecht gegen Neonazis?!

Ein Streitgespräch mit

Jörn Riedel, Vorsitzender SPD-Eimsbüttel

Antje Radcke, Bündnis '90/Grüne

Konrad Freiberg, stellv. Bundesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei (GdP)

Norman Paech, Prof. für öffentliches Recht an der HWP

Montag, 11. September 2000, 19.00 Uhr

Universität Hamburg, Philosophenturm (Von-Melle-Park 6), Hörsaal G

Veranstaltet von juso-hsg & Jusos-Eimsbüttel

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Freitag, den 1. September 2000, http://www.harte--zeiten.de/artikel_124.html