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Zum Koalitionsvertrag

Das Bürger-Verwirr-Spiel

,,Die Steuern werden nicht erhöht. Das ist der Kern von Merkels Vorstellung vom Regieren: das Land gut führen, das Geld zusammenhalten, jedenfalls soweit, wie das im Bund mit der SPD geht. Aber zur Not hätte Merkel wohl auch noch die Steuern erhöht. Ihre rote Linie war immer eine andere. Sie ist einige hundert Meter lang und führt rings um das Kanzleramt.“

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Autorenkollektiv): Vier Fäuste und eine Raute, 1.12.2013.

,,Me-ti sagte: Das Vertrauen der Völker wird erschöpft, indem es in Anspruch genommen wird.“

Bertolt Brecht: ,,Über die Erschöpfung des Vertrauens“. Aus: ders.: Me-ti. Buch der Wendungen.

Es sind 185 Seiten.

Kaum ein Detail wird nicht berührt (Kleingartenanlagen, S. 119; Bienenmonitoring
S. 124...).

,,Freiheit“, ,,Sicherheit“ und vermeintliche Konfliktlosigkeit auf Grundlage dauerhaften, krisenfreien Wachstums werden vorgegaukelt.

Der Kern der Vereinbarung ist ein Abgesang auf politische Gestaltung, besonders wenn sie international sozial und solidarisch unternommen werden müßte. ,,Exportstärke“, ,,Wettbewerb“, niedrige Lohnkosten und Schuldenabbau sind die Leitmotive der Präambel, denen alle folgen sollen: ,,Wir bekennen uns zum Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland, in dem große und kleine Unternehmen ihre Chancen nutzen können. Wir setzen auf eine Doppelstrategie aus Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen - in Deutschland und Europa.“ (S.13) Die Bevölkerung soll wesentlich Human-Ressource für profitable Verwertung bleiben. Dieser neoliberale Kern wird medial und textlich wortreich verschleiert. Er ist aber da.

Davon kann auch die Einigung auf einen Mindestlohn von 8,50 EUR nicht ablenken. Er soll ohnehin erst 2017 flächendeckend gelten, wenn - inflationsgemäß - er nur noch etwa 7 EUR wert ist. Die geplanten Maßnahmen gegen Leiharbeit und Mißbrauch von Werkverträgen entsprechen höchstens dem bereits von Gewerkschaften und kritischer Öffentlichkeit erkämpftem Maß. Die ,,sachgrundlose Befristung“ von Arbeitsverträgen bliebe erhalten.

Viel früher, nämlich 2015, soll die Nettoneuverschuldung stoppen, also die Schuldenbremse eingehalten und damit der Sozialstaat weiter gedrosselt werden.

Steuererhöhungen, die entgegenwirken könnten, etwa bei der Erbschaftssteuer, Gewinn- und Vermögenssteuern werden ausgeschlossen. Selbst die lange avisierte Transaktionssteuer wird auf eine wolkige europäische Einigung vertagt. Eine relevante Verschärfung der Banken- und Finanzmarktregulierung über das bisher international anerkannte Maß hinaus entfiele.

Fortgeführt würden Auslandseinsätze der Bundeswehr ebenso wie Rüstungsexporte in den bisher gewohnten Bahnen - im klaren Gegensatz zu den Auffassungen der Bevölkerungsmehrheit. Sogar Kampfdrohnen werden nur unter diffuse ethische und juristische Prüfvorbehalte gestellt.

Eine doppelte Staatsbürgerschaft soll es nur für hier geborene Migrantenkinder geben.

Die Energiewende möge den Interessen der ,,Wettbewerbsfähigkeit“ nicht schaden.

Ebenso kann man Änderungen beim BAföG, eine zügig spürbare Bekämpfung der Altersarmut und Maßnahmen für relevant mehr sozialen Wohnraum, eine Bekämpfung von Rechtsextremismus und systematischer Überwachung vermissen.

Kurz: Die Chose geht an den tatsächlichen zivilisatorischen Interessen und sogar Auffassungen der meisten vorbei. Wir sagen: Nein.

Das ist der Ausgangspunkt für erweitertes solidarisches Engagement: Die Hinwendung zu Frieden, Arbeit, Bildung, Wissenschaft und Kultur für Alle. Die dafür relevanten Themen und Positionen können durch eigene Aktivität für einen echten Tendenzwechsel gesetzt und verwirklicht werden. Die ,,Schuldenbremse“ ist zu lösen. An Reichtum - materiell und kulturell - sowie an Möglichkeiten der Teilnahme an sozialer Bewegung mangelt es nicht. ,,Die bürgerliche Revolution muß sich ins Ökonomische fortentwickeln, die liberale Demokratie zur sozialen werden.“ (Thomas Mann, ,,Meine Zeit“, 1950.)

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 2. Dezember 2013, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1232.html