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Cui bono?
(Hochschul-)Demokratie statt Marktkonformität.

„Beliebt und deutlich billiger zu haben sind Uni-Hörsaale. So ließ die Uni Erlangen-Nürnberg gegen 130 000 Euro Spende einen Raum in Easy-Credit-Hörsaal umbenennen; an der Wirtschaftsuni Wien ist das Red-Bull-Auditorium nur der kurioseste unter Dutzenden gekauften Räumen. [...] Längst heißen ganze Universitäten nach Kaffeedynastien (die Jacobs University Bremen nach einer 200-Millionen-Euro-Spende), Schrauben-Spezialisten (Reinhold-Würth-Hochschule) oder Handelspionieren (Otto Beisheim School of Management).“

Wendelin Sandkühler: „Namedropping“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6.10.2013, S. 30.

Im Universitätsklinikum Eppendorf findet sich ein „Ian-Karan-Hörsaal“ neben dem Rothe-Geussenhainer-Haus. Ian Karan ist Logistikunternehmer und war für die CDU Hamburger Wirtschaftssenator. Die Medizinstudierenden Margaretha Rothe und Friedrich Geussenhainer gehörten dem Hamburger Zweig der Weißen Rose an, dem tätigen Widerstand gegen die Nazis. Aufrechter Gang überwindet die Käuflichkeit.

Als Schlußfolgerung aus der Mitverantwortung der „akademischen Elite“ für die Barbarei des Faschismus ist nach 1945 die „Freiheit der Wissenschaft“ im Grundgesetz verankert worden. Die Studierendenbewegung der 1960er Jahre problematisierte: „Unter den Talaren//Muff von 1000 Jahren“. Sie erreichte, daß die bundesdeutschen Hochschulen selbstkritisch mit der Vergangenheit aufräumten, sozial geöffnet und demokratisiert wurden und sich wissenschaftlich tendenziell auf Verantwortung für eine global menschenwürdige Entwicklung orientierten.

Erst der neoliberale Roll-Back der vergangenen zwei Jahrzehnte hat die demokratische Souveränität der Hochschulen gegenüber Partikularinteressen wieder eingeschränkt. Kraß zum Tragen kommt dies im derzeit noch gültigen Hamburgischen Hochschulgesetz (HmbHG). Es geht auf den CDU/FDP/Schill-Senat (2001-2004) zurück und folgt dem Modell der „Unternehmerischen Hochschule“, das durch drei Elemente gekennzeichnet ist:

Erstens: Die demokratisch-kooperative Selbstverwaltung durch Gremien, in denen alle Gruppen (Studierende, Verwaltungs- und wissenschaftliches Personal, Profs) vertreten sind, wurde durch ein Top-Down-Management von Präsidium und Dekanaten weitgehend abgelöst. Sie werden von einem Aufsichtsrat („Hochschulrat“) kontrolliert. Dieser ist weder einer demokratischen Instanz verantwortlich noch gewählt. Er ist ein strukturell konservativer und elitärer Klüngel, in dem immer Monopolkapital vertreten ist. An der Universität Hamburg ist ein Mitglied aus der Leitung so schwergewichtiger Konzerne wie Unilever (Verbrauchsgüter, Jahresgewinn 2012: 4,9 Mrd. Euro) oder ExxonMobil Central Europe (100% Tochter von ExxonMobil, Öl, Jahresgewinn 2012: 44,9 Mrd. Euro) vertreten.

Zweitens wurden die Hochschulen immer schlechter öffentlich finanziert und angehalten, die Verteilung der Grundfinanzierung marktförmig nach „Leistungs“-Indikatoren (z.B. Absolventenzahl, Drittmitteleinwerbung) zu organisieren. Das fördert Konformismus auf Kosten von Kritik, die das Wesen von Bildung und Wissenschaft ist und die soziale Voraussetzungen hat.

Drittens wurde die Hochschulfinanzierung auch - besonders mit der Einführung von Studiengebühren - privatisiert. Die Gebührenfreiheit ist durch die gesellschaftlich aufklärende und mobilisierende Kritik studentischer Bewegung weitgehend zurückerlangt worden. Das „Sponsoring“ allerdings grassiert als mehr oder weniger direkter Wissenschaftskauf noch weiter.

Gegen diese Deformation wird solidarische Kritik und Bewegung aus den Hochschulen entfaltet. Daher muß der SPD-Senat nun das Hochschulgesetz novellieren. Allerdings versucht er bisher nur die ärgsten Folgen der kommerziellen
Pervertierung einzudämmen, anstatt mit ihr zu brechen.

Die Mitglieder der Universität - Subjekte ihrer eigenen Lebens- und Arbeitsverhältnisse - formieren sich derzeit für einen befreienden Bruch und eine humanistische Wende für Wissenschaft und Wissenschaftsorganisation. Leitgedanke ist die zivilisierende gesellschaftliche Potentialität von Hochschule, wie ihn der ehemalige Präsident der Uni Hamburg, Peter Fischer-Appelt, gefaßt hat: „Wissenschaft ist die solidarische Bemühung von Menschen, in methodisch ausgewiesener und zielbewußter Erkenntnisarbeit die natürlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse unter die Form universaler Rationalität zu bringen, damit die Erde als der gemeinsame Lebensraum der Menschheit in Frieden bewohnt und mit Vernunft genutzt wird.“* Für solches Engagement finden sich auch gesellschaftliche Bündnispartner: „Wissenschaftsfreiheit und nicht zuletzt die Finanzierung durch die Allgemeinheit begründen mehr als nur Verantwortung der Hochschulen gegenüber der Gesellschaft auch für deren zivile, demokratische und soziale Entwicklung. Dies setzt demokratische Teilhabe und Partizipation aller Hochschulmitglieder voraus“, schreibt der DGB in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf der Behörde für Wissenschaft und Forschung.

Diese Entwicklung der Hochschulen erfordert auch deren bedarfsgerechte öffentliche Finanzierung. Das gemeinsame Engagement für die Lösung der Schuldenbremse und zur Rekonstruktion sozialer Vernunft entscheidet über die Reichweite der anstehenden Verbesserungen.

* Peter Fischer-Appelt (Universitäts-Präsident 1969-1991): „Wissenschaft und Politik“ (1970), in: Ders.: Die Universität als Kunstwerk. Beiträge aus sechs Jahrzehnten. Berlin/Hamburg, 2012, S. 74.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 6. Oktober 2013, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1219.html