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Gründlich: Arbeitszeitverkürzung
Eine überfällige Debatte
,,Die Massenarbeitslosigkeit ist die Ursache des ruinösen Wettbewerbs unter den Beschäftigten und fördert die Entstehung des Niedriglohnsektors und solcher diskriminierenden Arbeitsformen wie Leiharbeit und Werkverträge ohne gewerkschaftliche Interessenvertretung. Daher ist dringend eine Verknappung von Arbeit auf die 30-Stunden-Woche notwendig. [...]
Arbeitszeitverkürzung ist keine rein tarifpolitische Aufgabe mehr, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Die faire Teilung der Arbeit trägt sowohl den Interessen der Beschäftigten, als auch der Arbeitslosen gleichermaßen Rechnung. [...]“
Aus dem Offenen Brief der ,,Initiative Arbeitszeitkürzung“ mit 100 ErstunterzeichnerInnen aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Politik und Kultur, Februar 2013; www2.alternative-wirtschaftspolitik.de/uploads/m0413b.pdf.
Als Ende der 1960er Jahre die sogenannte Arbeitslosenquote in der BRD erstmals über 2 Prozent stieg, war der öffentliche Aufschrei groß. Es folgten ‘68 und die progressiven 70er Jahre.
Heute sollen wir mit einer Quote von 8 Prozent zufrieden sein. Angesichts dessen, daß in manchen europäischen Ländern die Erwerbslosigkeit über 25 Prozent, für Jugendliche über 50 Prozent liegt und dagegen die sozialen Proteste von Bulgarien bis Portugal mit Nachdruck entwickelt werden, wird hier politisch und medial gesundgebetet, was immer mehr Menschen krank macht.
An dieser Stelle setzt die vernünftige Kampagne ,,Initiative Arbeitszeitverkürzung“ linker Intellektueller und Gewerkschafter an. Sie argumentieren: 30 Stunden Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich sind die einzige Gewähr dafür, daß Arbeit nicht die einen aufreibt und die anderen - durch Erwerbs- und Perspektivlosigkeit - demütigt und deprimiert: ,,Dieser Zustand ist einer modernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert unwürdig.“
Tatsächlich werden über 3 Millionen Erwerbslose und mindestens genauso viele unfreiwillig geringfügig und Teilzeitbeschäftigte sowie Hartz-IV-Aufstocker oftmals als Erfolg ,,deutscher Wirtschaftskraft“ durch die ,,Liberalisierung“ des Arbeitsmarktes (,,Agenda 2010“) gepriesen. Daß dies mit einer prosperierenden, solidarischen Gesellschaft aber nichts zu tun hat, zeigen nicht nur die unausgesetzten Problematisierungen beispielsweise der Techniker Krankenkasse, die Streß und Ungleichheit als wesentliche überwindbare Erkrankungsursachen ausmacht.
Positiv gewendet: Der Mensch ist ein soziales und kulturelles Wesen, das sich nur in einer Gesellschaft vernünftig entfaltet, die selbst für alle sozial und kulturell anstatt auf den Aktienmärkten prosperiert. Die durch Arbeitszeitverkürzung gewonnene freie Zeit dient der Kultivierung des Ganzen und der Einzelnen: durch Bildung und Weiterbildung, kulturelle und soziale Aktivität, demokratisches Engagement, Bewegung, kooperatives Spiel und produktive Muße. Übrigens: Schon in den 1980er Jahren setzte die IG Metall die 35 Stunden-Woche durch, wodurch eine Million neue, tarifliche Arbeitsplätze und industrielle Produktivität entstanden und wovon Binnennachfrage sowie öffentliche Einnahmen profitierten.
Kurz: Die Verfechter einer (kritischen!) Real-World-Economy haben mit ihrem Appell einen sinnvollen Kontrapunkt gegen die neoliberale Propaganda von der Progression durch Konkurrenz und soziale Zerstörung gesetzt. Die ,,Initiative Arbeitszeitverkürzung“ - kämpferisch aufgegriffen - trägt zu einer solidarischen Entwicklung in ganz Europa bei.
Das Engagement für beherzte Änderungen überzeugt. Hier liegt auch die Zukunft der Wissenschaften.