Menü | Home › Publikationen › harte zeiten › Flugblatt von harte zeiten vom
Keine Ahnung woher? Wohin?
Oder:
Links.
,,In der Bundesrepublik wurde man oben reicher, in der Mitte bescheidener und unten ärmer. Dass diese Entwicklung nicht aufgefallen wäre, wird niemand behaupten können. Indes - eine >linke< Gesellschaftskritik, die solche Diskrepanzen systematisch thematisiert hätte, blieb in den Thinktanks der Gewerkschaften stecken und galt als überholt. »Die neue Mitte«, so der bisweilen zu bitteren Scherzen aufgelegte Kanzler Schröder, »fährt Porsche.«“
Michael Naumann*, ,,Auch die Linken haben nichts geahnt“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28. August 2011, S. 21.
,,Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerten, Mehrwert zu schaffen, mit seinem konstanten Teil, den Produktionsmitteln, die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen. Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.“
Karl Marx, ,,Das Kapital“, 1867, MEW 23, Bd. 1, S. 247.
Kniebeugen vor dem Kapital führen zu asozialen Ergebnissen. Das gilt auch, wenn sie aus Gefallsucht bzw. aus Angst vor neoliberalem Kläffen gegen Humanität und Egalität gemacht werden. Diesen Zusammenhang schildert der ehemalige Kulturstaatssekretär der ehemals rot-grünen Bundesregierung, Michael Naumann, eindrücklich. Beispiel: Absenkung der Körperschaftssteuer 1999. ,,Eine >linke< Regierung subventionierte also das deutsche Großkapital. (...) Womöglich steckte hinter der großzügigen Geste nichts anderes als der klassische Habitus der SPD, den konservativen Kräften und Wählern der Gesellschaft zu beweisen, dass man, einmal an der Regierung, keineswegs die gute, alte Umverteilungstruppe sei, sondern, im Gegenteil, eine wirtschaftsnahe Partei, die das Vertrauen des Kapitals verdiene.“ (a.a.O) Es folgt eine exemplarische Aufzählung der Geschenke an das Großkapital.
Die Gewerkschaft GEW hat jüngst ausgerechnet, daß durch derlei Demutsbeweise seit dem Jahr 2000 der öffentlichen Hand 390,5 Mrd. Euro entzogen worden sind. Entsprechend sind die Gewinne explodiert. Hier liegt also sowohl die behebbaren Ursache der rücksichtslosen Spekulation sowie der privaten Armut und der Staatsverschuldung.
Die Behauptung Naumanns, >die Linken< hätten von dem ungeheuren Zugewinn an Reichtum und pur destruktiver Macht, den dies für Banken, Versicherungen und Hedgefonds mit sich bringt, nichts geahnt, hat allerdings ihre Ursache in einer ebenso eitlen wie präzisen Verdrängung des Wesentlichen. Dieses Wesentliche ist: Der Mensch braucht Arbeit, Essen, Kleidung, Wohnung, Bildung, Kultur, soziales Miteinander, dauerhafte politische Partizipation und im Übrigen: Frieden! zur Realisierung seiner eigenen und der gemeinsamen Angelegenheiten. Dafür hat es in der bürgerlichen Gesellschaft immer Analyse, Kritik und Engagement gegeben - links. Diese gesellschaftliche Alternative wächst, je mehr alle sich mit anderen im Verein dafür einsetzen.
Regieren, das jedenfalls ist klar, ist nicht der Anfang, sondern allenfalls das Ende aller (humanistischen) Politik, besserenfalls schadet es ihr nicht.
Wer aber die Gleichen als Gleiche erkennt, hat verallgemeinerbare Ziele, soziale Orientierung, einen vernünftigen Inhalt der eigenen Existenz und damit auch die nötige Courage, alle Verhältnisse menschlich zu gestalten.
Zeitgemäß ist das und, nicht nur für Sozialdemokraten, ein notwendiger Neustart.
* Michael Naumann war im Kabinett von G. Schröder Kulturstaatsminister, kandidierte für die SPD 2008 in Hamburg zum Bürgermeisteramt und ist Herausgeber und Chefredakteur des liberalen Wochenblattes Die Zeit.