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Aufklärung! Kein Konjunktiv.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seinen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist die Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Immanuel Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, 1784.

Aufklärung kann weder kodifiziert noch kredenzt werden. Sie ist In-Frage-Stellen, Widersprechen, Lernen, Verändern, Gestalten - also kritische Souveränität des menschlichen Subjektes gegen einengende und vereinzelnde soziale Verhältnisse.

Sie ist aktiv und kooperativ.

Das gute am Bachelor-/Master-Studium ist also lediglich, daß es viel Anlaß für eine neue Aufklärung liefert. Denn die Modularisierung des Wissens, mit einem Haufen systemeigener Lernbremsen (Zulassungsbeschränkung, Scheinpflicht, Prüfungen, ABK und Lehrveranstaltungsmaximum) verdinglicht Lernbereite schnell. Die Verdinglichung zielt darauf, Studierende, egal mit welchem Erkenntnisinteresse, Engagement und Eigenwillen, schnell verwertbar auf den Arbeitsmarkt zu spucken. Bis sie sich in einem (gebührenpflichtigen) Master wiederaufbereiten sollen.

Damit soll Dienstbotenmentalität produziert werden. Das ist anachronistisch und widerwärtig, so daß es - durch erheblichen studentischen Widerstand - nicht gelingt.

Aber läßt sich das Bologna-Modell reformieren?

Nein, die Unrettbarkeit des Systems wird schon im Kleinen deutlich: Wollte man zum Beispiel wieder eine freie Seminarwahl ermöglichen, damit ein/e jede/r nach Interesse und rationaler Entscheidung studieren kann, müßte man nicht nur a) die Ausstattung der Universität erheblich verbessern, sondern b) auch die Teilnehmerzahlbegrenzung für Seminare aufheben. Dann aber schwände mit dem künstlich geschaffenen Mangel nicht nur die Konkurrenz um knappe Studienplätze, sondern auch die Legitimation für permanente, willkürliche Leistungsabfrage und, ach, Noten und Prüfungspflicht wären gleich mit zu beseitigen. Sollten gar Studierende mündig genug sein, selbst über ihre Anwesenheit und vor allem Dauer und Umfang ihres Studiums zu entscheiden, wäre endgültig das ganze Korsett für schmales, schnelles, schlauchendes Studieren entzwei. Vorbei die konforme Berufsqualifizierung.

Mit der Vertiefung einer Fragestellung - über die engen Grenzen von ein bis zwei Modulen hinaus - käme man hingegen weiter und deshalb sogar von Kant rückwärts bis zu Delphis Orakel: „Erkenne Dich selbst!“

Und vorwärts: „Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, 1843-44.)

Philosophiert würde mit praktischer Bedeutung: Unmenschliches wäre als menschengemacht zu erkennen, zu verstehen, zu kritisieren und zu verändern.

Hätte, würde, könnte - wenn?

Wer widerspricht macht auch andere munter. Mitmenschen sind potentiell Mitwirkende. Der lebendige Widerspruch zur entmündigenden Studienstruktur sind unzufriedene, kritische, freundliche, listige und streitbare Lernende.

Die „Reform der Reform“ ist schon längst steckengeblieben.

Für Besseres ist Solidarität der beste Weg und Grund.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 4. April 2011, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1029.html