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Flüchtlinge: Die Reichsten und die Ärmsten.

,,Die falschen Staaten von Europa: England, Frankreich, Spanien, Italien, Ungarn, Preußen, Estland, Lettland,
Rumänien, Bayern. Die Grenzen stehen fest. Die richtigen Staaten von Europa: Arbeitslose, Arbeitsmänner,
Arbeitgeber, und Nutznießer fremder Arbeit. Die Grenzen fließen.“

Kurt Tucholsky, ,,Nationales“, 1924.

Der italienische Innenminister Maroni von der reaktionär-rassistischen Lega Nord beklagt, Tunesien ,,ist dabei zu kollabieren“ und fordert eine Intervention der EU. Anlaß dafür ist die Massenflucht von vorwiegend jungen, erwerbslosen Tunesiern, die keine soziale Perspektive in ihrem Herkunftsland sehen und zum Arbeiten nach Europa wollen.

Mit der Revolution in dem Maghreb-Staat ist nicht nur die Diktatur, sondern auch das aus der EU finanzierte tödliche Grenzregime zusammengebrochen, mit dem hunderttausende Afrikaner durch Gewalt an der Ausreise gehindert wurden. Die EU hat diese brutale Politik unterstützt, indem und weil sie mit den rohstoffreichen Ländern und ihren Herrschercliquen erheblich Geschäfte machte und macht: Was der Internationale Wirtschaftsfonds das ,,tunesische Wirtschaftswunder“ nannte, war Auspressung der Bevölkerung. Infolge dessen kann sich die Präsidenten-Gattin Leila Trabelsi mit 400 Millionen Euro und 1,5 t Gold in ein arabisches Emirat absetzen. Sie ist wohl der zur Zeit reichste ,,Flüchtling“ der Welt. Derweil kommt die Bevölkerung des Landes kaum über die Runden. Das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung beläuft sich auf 2 Dollar pro Tag, die reale Arbeitslosenquote liegt bei circa 30 Prozent. Die europäischen Konzerne der Maschinenbau-, Textil- und Nahrungsmittelindustrie haben dies für minimale Produktionskosten und maximale Gewinne seit Jahrzehnten befördert. Sie profitierten gemeinsam mit der Despotenfamilie von der Privatisierung der staatlichen Unternehmen, die mit dem Machtantritt des nun vertriebenen Diktators Ben Ali einsetzte. Besonders betroffen sind Hochschulabsolventen, die unter dem Druck der von der EU erzwungenen rückständigen Industrialisierung von qualifizierter Erwerbstätigkeit ausgeschlossen werden. Der Mangel ist ein künstlicher.

Das ist die gewinngierige Privatwirtschaft, die global der solidarischen Überwindung harrt. Die Menschen, die mit ihrer sozialen und kulturellen Revolte nun nicht nur in Tunesien die politische Demokratie erstreiten, sind Mitstreiter in einem Kampf, der ebenso (und insbesondere) in den hochindustrialisierten Ländern auf der Tagesordnung steht: Umverteilung des erarbeiteten Reichtums, Arbeitszeitverkürzung bei anständigen Lohnsteigerungen, der Wiederaufbau der Sozialsysteme und nicht zu letzt Bildung und Kultur für alle - finanziert aus kräftigen Kapitalsteuern - sind eine weltweit aktuelle Aufgabe. Die Grenzen zu - für geraubten Reichtum und einbehaltene Steuern. Die Grenzen auf - für Menschen.

Für Hamburg, ,,Das Tor zur Welt“, erfordert das einen Wechsel von degradierender Standortpolitik zu internationaler Solidarität: Nicht durch die Gewinne der ökonomisch Mächtigen, nicht durch die vermeintliche Vorteilsnahme gegenüber den Menschen in anderen Ländern, sondern nur durch das engagierte gesellschaftliche Zugreifen der Bevölkerung, gelingen Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden.

Wer sich nach seinen Nachbarn umschaut, entdeckt die gesellschaftliche Macht der Zukunft.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 15. Februar 2011, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1021.html