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Teutonische Provinzialität
oder
Dienstbarkeit, Pragmatismus und „Bodenständigkeit“ sind Feinde des Humanismus

„[Die] Abwendung vom Humanismus erfolgt unter dem Gesichtspunkt einer Kulturkritik, die alles ›losgelöste‹, ›allgemeine‹ Wissen, das sich an seinen pragmatischen Ort nicht mehr gebunden fühlt, als kulturelle Zerfallserscheinung wertet [...] ›Humanitas‹, ›Ratio‹: – dies sollen, als allgemeinverbindliche Forderungen, Relikte einer ‚überalterten‘ Tradition sein, – Fremdkörper, die ausgeschieden werden müssen, um das Kulturleben zur Gesundung, und das heißt: zur Bodenständigkeit zurückzuführen. Die Schlichtheit dieser Kulturauffassung ist bestrickend; nur leidet sie an dem Schönheitsfehler, daß sie sich nicht selbst als ›schlichte Tatsache‹ vortragen kann, sondern zunächst noch als Forderung bestehen bleiben muß. Sie muß sich durchsetzen gegen die Humanisten aller Stufen und Grade, die durch ihr zähes oder zaghaftes Festhalten an fremd erworbenem Traditionsgut die ›unnötigen Komplikationen‹ schaffen.“

Edgar Wind, „Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike“, Einleitung, 1934; aus: „Enge Zeit“, Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität, Ausstellungskatalog, Hamburg 1991.

Eindeutig, um Mißdeutungen vorzubeugen: Wir leben nicht in Zeiten (eines heraufziehenden oder herrschenden) Faschismus. Die globale Krise, soziale Bewegungen und kritische Intellektuelle fördern eher weltweit vorschnell verworfene praktische Erkenntnisse wieder munter zutage. Etwa jene, daß die Macht der privaten Monopole dringend reguliert werden sollte, daß soziale und internationale Konflikte vorzugsweise zivil zu lösen sind, daß demokratische Freiheit und soziale Gleichheit nicht getrennt realisiert werden können, daß Demokratie einer kritisch-lebendigen Philosophie und aufgeklärter Kultur bedarf und daß „Bildung für Alle“ ein eigenständiger Wert ist.

Umso dringlicher aber sollten alle Hindernisse und Behinderer einer humanen Entwicklung von Hochschule und Gesellschaft kritisiert und überwunden werden. Dafür ein lernender Blick in die Geschichte: Der oben zitierte Edgar Wind war an dieser Universität Privatdozent für Philosophie, bevor er – wie mit ihm viele rassistisch und politisch Verfolgte – durch die Nazis von seiner Wirkungsstätte grausam vertrieben wurde. Er kritisierte nachdrücklich die dumpfe Verbindung von Technokratie und Romantik, die dem Faschismus wesenseigen ist.

Die braune Diktatur konnte hierin nahezu nahtlos an bürgerlich-konservativen Ungeist – Nationalismus, Militarismus, Kapitalhörigkeit und elitäre Menschenverachtung – anknüpfen. Die Universität hat gegenüber dieser Aggression nicht nur weitgehend versagt, sondern sich sogar mehrheitlich dazu willfährig erwiesen. Mit der Befreiung vom Faschismus 1945 und mit dem – nicht allein – studentischen Aufbruch von 1968 („Unter den Talaren/der Muff von 1000 Jahren“) wurde die demokratisch-humanistische Tradition dagegen wieder aufgegriffen und durch Kämpfe für eine soziale Öffnung und eine vertiefte Gesellschaftskritik in Bildung und Wissenschaften weiterentwickelt.

Durch diese positive Entwicklung konnte (auch) die Universität Hamburg für systemübergreifende Verständigung, zivilgesellschaftliche Entwicklung, friedenswissenschaftliche Initiative, demokratische Bildungsvermittlung und soziale Verantwortung in der Bundesrepublik wirken. Wenn etwas zukunftsweisend ist – und in diesem Sinne besonders – dann ist es dieses geschichtsbewußte und kritische Potential. Das gilt umso mehr, da solche Ansprüche gesellschaftlich verallgemeinerungswürdig sind.

Vor diesem Hintergrund ist die derzeitige konservativverklemmte, ökonomisch-dienstfertige, rotstift-pragmatische, bodenständig-autokratische (oberste) Universitätsleitung ein humanitätsfeindliches Übel. Ein solidarisches „Nein!“ und heiteres „Ade!“ sind deshalb erforderlich. Das ist im Interesse der Mehrheit.