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Mehr als die Abwesenheit von Krieg
oder
Die Entwicklung der Gedanken
1) Licht auf die dunkle Seite
"Spa, einst Modebad an der belgischen Grenze, war im letzten Stadium des Krieges das Hauptquartier der deutschen Armee gewesen. Jetzt befand sich dort der Sitz der Waffenstillstandskommission, eines Zusammenschlusses alliierter und deutscher Offiziere, dem vor allem die täglichen Exekutiveinzelheiten der Waffenstillstandsübereinkommen anvertraut waren und der im übrigen die einzige offene Informationsleitung zwischen der deutschen Regierung und Paris darstellte. (...)
Der Ort war melancholisch, voll der theatralisch-teutonischen Melancholie schwarzer Tannenwälder. Wenn man auf der Terrasse der Villa hin und her ging, war der Horizont von der schwarzen Linie der Wälder abgeschnitten, hinter ihm sank die Sonne, und die Bäume hinter dem Haus seufzten wie ein liebeskranker Preuße."
John Maynard Keynes, "Dr Melchior/Ein besiegter Feind", 1920. (J.M. Keynes war Mitglied der britischen Verhandlungsdelegation in Versailles; Carl Melchior, jüdischer Bankier aus Hamburg, Verhandlungspartner seitens der im Ersten Weltkrieg besiegten Deutschen.)
Schon der erste (deutsche) "Griff nach der Weltmacht" lehrt, daß finstere Romantik und schwere Melancholie nicht nur keine guten Ratgeber sind, sondern auch gefährlich mystisch von Weltgröße träumen lassen. Das "Nie wieder!" von Diktatur und Krieg erfasse auch die geistig-kulturellen Wurzeln gewalt-taumelnder Illusionen.
Aufklärung ist licht, heiter und streitbar.
2) Wider das Gebot der Ruhe
"Nun ist die Meinung, der Dichter dürfe kein Polemiker sein, er dürfe die Erscheinungen nur in stiller edler Einfalt hinnehmen und verklären, tief in deutscher Anlage verwurzelt. Reizbarkeit gegen die Zeit, die Welt, das Schlechte, Dumme, Niederträchige und Geistwidrige in
ihr und die Äußerung solcher Reizbarkeit als polemischer Angriff, das degradiert, das entehrt den Dichter."
Thomas Mann, "Rede über Lessing", 1929.
Der Krieg - mit allen möglichen Waffen - ist "das Schlechte, Dumme, Niederträchtige und Geistwidrige" in der menschlich zu verantwortenden Welt. Die Zivilisierung des Lebens braucht die Polemik gegen die Zerstörung.
3) Crazy world
"Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf die Arbeiter und Export."
Kurt Tucholsky, "Die Herren Wirtschaftsführer", 1931.
Der Krieg hat sein Fundament in der rabiaten Mehrung des sich selbst verwertenden Wertes. Die Politik ist in der Hauptsache die Fortsetzung dieses Zweckes. Krieg ist ein Mittel der Politik.
Die Zwecke sind veränderbar.
4) Die Welt als gewaltfreie Zone
"Um von Volksherrschaft zu reden, muß man dem Wort Überzeugung einen neuen Sinn verleihen. Es muß bedeuten: Das Überzeugen der Menschen. Volksherrschaft bedeutet Herrschaft der Argumente."
Bertolt Brecht, "Me-Ti/Buch der Wendungen", 1939.
Hier liegt die Alternative zur Herrschaft der Angst, der Verwirrung und der Bajonette klar auf der Hand.
Die Ökonomie sei für den Menschen und nicht umgekehrt.
Die Wissenschaft sei nicht Dienerin, sondern Königin - von allen, für alle.
Golnar Sepehrnia, Olaf Walther
Hamburg, den 11. September 2007