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Was braucht der Mensch?

„Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft.“

Kurt Tucholsky, „Der Mensch“, 1931. html

Mehr als eine gute Gelegenheit über Preisabsprachen, Marktaufteilungen und millionenschwere Staatsaufträge zu reden, bietet die „behagliche Gediegenheit“ des Übersee-Clubs den „Hamburger Kaufleuten, Industriellen und Leitenden Männern der Verwaltung“ zur Pflege des „Zeitgeistes“ (aus der Selbstdarstellung des Übersee-Clubs) im Interesse seiner milliardenschweren Mitglieder. Einen Eindruck davon vermittelt die letzte Übersee-Rede des Bürgermeisters von Beust. Darin fordert von Beust die Zerschlagung der sozialstaatlichen Sicherungssysteme. Sie seien „Diktat einer gesetzlichen Regelung“. Notwendig sei einzig eine, von gesenkten Steuereinnahmen finanzierte „Grundsicherung“: „Niemand soll hungern und frieren“, „niemand soll ins Bodenlose fallen“ und jeder soll vor lebensbedrohlichen (sic!) Krankheiten geschützt sein. Und weiter von Beust: „Aber alles, was darüber hinaus geht, soll doch bitte der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und dem Markt unterliegen; soll vertraglich geregelt sein und nicht mehr der politischen Beliebigkeit unterliegen.“ Dankeschön! Wir dürfen also sicher sein in einem beheizten Obdachlosenasyl bei lebensbedrohlichen Krankheiten medizinische Betreuung zu erfahren. Oder ist das – schon – das Bodenlose?

Nein, von Beust ist nicht das moderate und harmlose Aushängeschild eines bürgerlichen Senats, wie Opposition und Koalition oft Glauben machen wollen. In bemerkenswerter Klarheit offenbart er vor hanseatischem Publikum die tatsächlich bodenlose Unmenschlichkeit rechter Gesellschaftspolitik. Jede über die letzten 150 Jahre erkämpfte Regulierung der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft wird im Interesse profitorientierten Wirtschaftens in Frage gestellt. Der Senat wendet sich dafür gegen jede fortschrittliche soziale Reform, gegen alles, was die gesellschaftlichen Bedingungen für die freie Entfaltung aller Menschen schafft. Verborgen wird dies hinter wohlklingenden Floskeln von „Eigenverantwortung“ und „Selbstbestimmung“, die angeblich durch „freie“ Vertragsbeziehungen zwischen den Menschen hergestellt und gesichert würden. Es geht ganz offen um den totalen Markt.

Die marktförmige Organisation der Gesellschaft setzt die Individuen in Konkurrenz zueinander. Die existenzielle Gefährdung der ‚Verlierer‘ wird um so größer, desto weniger sozialstaatliche Errungenschaften den „freien Fall“ bremsen und aufhalten. Die derart durch die Angst vor ihren Konkurrenten vereinzelten Menschen schließt der Markt von der kooperativen Verfügung über die bewusste und planende Gestaltung ihrer Lebensbedingungen aus. Die Konkurrenz verschärft so die soziale Ungleichheit und hält die private Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums in den Händen Weniger aufrecht.

Schon die ersten Schritte des Hamburger Rechtssenats zu mehr Markt schränken die Entfaltungsmöglichkeiten der Hamburger Bevölkerung massiv ein: Im öffentlichen Dienst muss bei gleichzeitiger Lohnkürzung länger gearbeitet werden offene Stellen werden nicht besetzt. Die Behandlung im Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) soll künftig ökonomisch ‚sinnvoll‘ statt gesundheitsfördernd sein. Und die SAGA soll Einfamilienhäuser für den Mittelstand bereitstellen, statt bedarfsgerechten, bezahlbaren Wohnraum mit hoher Lebensqualität für Alle zu bauen. Und die tätige Erinnerung an den Faschismus und an die Geschichte und die Auseinandersetzungen der Hamburger Arbeiter mit den geldschweren Pfeffersäcken, die diese sozialstaatlichen Errungenschaften hervorbrachten, soll durch die Radikalkürzungen bei unzähligen Stadteilprojekten und den Geschichtswerkstätten ausgelöscht werden.

Von Beust zu all dem: „Es gibt so gut wie nichts Neues, das nicht Protest erzeugt.“ Zwar ist kapitaldevote Marktradikalität bei Rechten nichts neues, aber dass dies in Hamburg umfassend durchgesetzt werden soll, ist neu. Und vermeidbar. Geben wir Herrn von Beust in diesem Punkt recht: mit persönlichem Engagement für Protest und Perspektive.

Zur Lösung der drängenden Probleme in Hamburg, bedarf es der Humanisierung des Alltags. Nicht der Markt, sondern die Möglichkeit jedes Einzelnen zur kooperativen Weltaneignung zählt, denn erst die Überwindung der sozialen Ungleichheit ermöglicht kulturelle Entfaltung. Dafür lohnt sich der solidarische Kampf.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 6. Oktober 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_24.html