Menü | HomePublikationenharte zeiten › Flugblatt der juso-hsg vom

Eine Bürgerinitiative

Europas größter Medienkonzern macht Hochschulpolitik

Mehr Eigeninitiative, Mut zum Risiko, Entrümpelung der staatlichen Leistungsstrukturen (also der Bereich, in dem es darum geht, durch aktives Handeln die Möglichkeiten zu gleicher Partizipation herzustellen), Befreiung der Leistungsbereiten von den Ketten der Gleichmacherei: Diese Forderungen sind geläufig und dürfen spätestens seit der "Es muß ein Ruck durch das Land gehen"-Rede von Roman Herzog als Allgemeinplätze gelten.

Seit dieser Rede ist zwar oft beklagt worden, daß es noch viel zu wenig "ruckt", dennoch passiert einiges. Manches sogar spektakulärer und folgenreicher als es zunächst scheint - und scheinen soll. Dies gilt insbesondere für die Hochschulen.

Wo der Ruf nach Unterstützung durch den - finanziell ausgebluteten - Staat günstigstenfalls mit abgemilderten Sparauflagen beantwortet wird, wo die Arbeitsmarktchancen der Absolventen für gesteigerte Bereitschaft sorgen, sich in der Ausbildung nur noch an Qualifikationsprofilen aus der Wirtschaft zu orientieren, wo bestimmte Forschungsvorhaben v.a. in den Naturwissenschaften seit Jahren nur noch durch private Auftraggeber finanziert werden können - da bestehen quasi "natürliche" Voraussetzungen für die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Neudeutsch auch 'public-private-partnership' genannt.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Privatisierung staatlicher Aufgaben und damit insbesondere die Abschaffung vormals demokratischer Entscheidungsabläufe ist das "Centrum für Hochschulentwicklung" (CHE) mit Sitz in Gütersloh.

Gütersloh ist reichlich provinziell, sieht man davon ab, daß dort Bertelsmann seine Zentrale hat. Das ist Europas größter Medienkonzern mit duzenden eigener Fernseh- und Hörfunksender, diversen Buchverlagen, etlichen Tageszeitungen, Gruner+Jahr, dem weltgrößten Zeitschriftenverlag sowie diversen Beteiligungen, z.B. mit dem Spiegel-Verlag und der ZEIT.

Bertelsmann-Uni

Es geht mit beispielsweise 1996 rund 22, 4 Milliarden DM Umsatz und 1 Milliarde Gewinn um geballte ökonomische Macht. Vor allem um immense publizistische Macht, die in privatem Interesse zur Einflußnahme auf gesellschaftliche und staatliche Willensbildung nutzbar ist. Dieser Medienmulti nun ist verflochten mit der Bertelsmann-Stiftung, zu deren Aufgaben es gehört, Initiativen mit gesamtgesellschaftlicher Perspektive zu unterstützen. Ein maßgeblicher Aktivitätsbereich dieser explizit politisch agierenden privaten Stiftung ist die Hochschulpolitik. Hier passiert also das, was auch Atomkraftgegner oder ehrenamtliche Sportfunktionäre entfalten - wenn auch in etwas anderem Maßstab, mit anderen Mitteln und gewissermaßen nachhaltig: Bürgerinitiative.

So wurde 1994 vom Bertelsmann-Konzern durch die gleichnamige Stiftung gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) das CHE gegründet.

Die HRK, das macht das Ganze wirklich pikant, ist die Versammlung der Präsidenten der staatlichen Hochschulen. Sie haben mit dem CHE ein als GmbH organisiertes Privatgremium gegründet, das mit offiziösem Auftreten massiv auf hochschulpolitische Entscheidungsabläufe Einfluß nimmt.

Zudem ist das CHE vielfältig mit öffentlichen Einrichtungen verquickt. Beispielsweise wird durch das CHE der durch die Niedersächsische Landesregierung eingesetzte Beirat für das Modellvorhaben der globalen Steuerung von Hochschulhaushalten (d.h. eine Umstrukturierung von Lenkungsmechanismen) geleitet.

Unter Schirmherrschaft des letzten Bundespräsidenten Herzog hat die Bertelsmann-Stiftung einen "Initiativkreis Bildung" installiert, mit der Funktion, für bestimmte "Reform"-Vorhaben die entsprechende öffentliche Resonanz zu schaffen. Die darin steckenden Einflußpotentiale liegen auf der Hand. Gerade durch die bildungspolitischen Äußerungen von Roman Herzog wurde eine öffentliche Debatte mit stark konservativer Tendenz inszeniert.

Hier geht es um die schleichende Überführung staatlicher Funktionen in private Hand sowie das Zurückdrängen demokratischer Entscheidungsprozesse. Versinnbildlicht wird das durch die Adresse des CHE: Es residiert auf dem Firmengelände der Bertelsmann-AG.

Bürgerbewegt für Studiengebühren

Wer weiß, durch wen das CHE finanziert und kontrolliert wird, wundert sich über die Richtung der angestrebten "Reformen" wenig. In ungetrübter Übereinstimmung mit Lobbyverbänden des Kapital- und Arbeitgeberlagers (etwa den Forderungen des Deutschen Industrie- und Handelstages, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände...) wird das "immer noch" bestehende "Tabuthema" Studiengebühren angegangen, geht es um Abschaffung gesicherter Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsbereich, um die Ersetzung des "immer schon illusionären" Zieles allgemeiner Bildungsmöglichkeiten durch das Herausbilden von "Leistungseliten", die Ideologische Entsorgung staatlicher Ausbildungsförderung (in Wahrheit unsolidarisch, da nur Akademiker in den Genuß kommen), Bekämpfung der "undifferenzierten Demokratisierung der Hochschulen" (so D. Müller-Böling, Geschäftsführer des CHE).

All dies wird mit einem Bündel an Instrumenten und Maßnahmen über einen längerfristigen Zeitraum betrieben. Symposien und Kongresse (gerne mit Dialog von Fachleuten und "Multiplikatoren"), Inovationspreise, Förderung von Modelvorhaben, nicht zuletzt die entsprechende Pressearbeit. So darf man lange suchen bis man im Umfeld des Bertelsmannkonzerns hochschulpolitische Berichterstattung findet, die sich mit den Zielen der "Denkfabrik" nicht vereinbaren ließe.

In den letzten Jahren ist es der Bürgerinitiative aus Gütersloh so gelungen, zu einem maßgeblichen Faktor der hochschulpolitischen Entwicklung zu werden. Das CHE mischt eigentlich überall mit, und wegen der leeren öffentlichen Kassen werden die vom CHE gemachten "Reformen"-Angebote gerne aufgegriffen. So reproduziert privater Reichtum den privaten Einfluß, der selbstredend inhaltlich kaum zum Schaden des Kapitals ausgeübt wird, wie die vom CHE propagierten "Reformen" belegen.

Darf auch was sagen: Dr. Dr. h.c. Lüthje

Die Hamburger Uni hat im Zuge ihrer Reformbemühungen rege Kontakte zum CHE: über die genannten Symposien, Impulsreferate von CHE-Vertretern, die hiesige Gremien auf den Weg der wahren Effizienz führen sollen. Durch Austausch von Erfahrungen mit anderen Unis - moderiert und gefiltert durch die Fachleute vom CHE. Unipräsident Lüthje war im Rahmen des "Initiativkreises Bildung" an der Erstellung eines Papiers zur Einführung von Studiengebühren beteiligt.

Bemerkenswert ist, wie umstandslos die Gremien der Hamburger Uni hier mit einer Einrichtung kooperieren, die in ihrer Finanzierung ein Privatveranstaltung ist und dementsprechend Hochschulpolitik nicht im gesellschaftlichen sondern in partikularem Interesse betreibt. Während man beim Hochschulsponsoring stets mit dem Lippenbekenntnis bedient wird, natürlich dürfe es keine inhaltliche Einflußnahme auf die Wissenschaften geben, gilt für die Umstrukturierung der Universität etwas anderes: Hier ist die Einflußnahme gerade gewollt. - "Bürgerinitiative".

Aber bisweilen regt sich Widerspruch. So hat zum Beispiel das Konzil dem Präsidenten in der Frage der Studiengebühren ganz kräftig auf die Finger geklopft. Notwendig ist jedoch, über die vereinzelte Kritik hinaus, in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung, eben auch im Konzil, ein Gesamtkonzept für eine demokratische Hochschulreform zu entwickeln.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht 1999, http://www.harte--zeiten.de/artikel_156.html