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Zum Uni-Jubiläum: „Von allen - für alle!“

„Der Aufbruch in die Demokratie von Weimar spiegelte sich in Zielsetzungen der Institution, wie sie der spätere Schulsenator, der Sozialdemokrat Emil Krause, im März 1919 in der Hamburgischen Bürgerschaft umrissen hatte: Demnach sollten zwar auch in Hamburg die Zwecke, denen die Universitäten bisher gedient hätten, weiter gepflegt werden, und insofern sei »eine Universität in der alten Form nötig«. »Aber diese Form muß einen Inhalt bekommen, der dem Geiste der neuen Zeit entspricht. Wir müssen eine Universität haben mit freiester Verfassung und mit freiesten Zulassungsbedingungen.« Es gehe nicht mehr um eine Universität einzig für Studierende, die sich auf einen Gelehrtenberuf vorbereiten wollten, sondern um eine Hochschule, »die allen Gliedern des Volkes die Möglichkeit gibt, diejenigen Geistesfähigkeiten zu erwerben, die sie für wünschenswert halten«. Zur Umsetzung dieses demokratischen Bildungsanspruchs sollten neben der Universität eine Volkshochschule und neben der Volksschule »volkstümliche Vorlesungskurse« eingerichtet werden.[2] Nicht ohne Pathos fasste Krause bald darauf in der entscheidenden Bürgerschaftssitzung zusammen: »Frei soll die Lehre sein und frei das Lernen, würdig dem freien Staat Hamburg.«“

Aus: Rainer Nicolaysen: Zur Geschichte der Hamburger Universität, https://kurzlink.de/unigeschichte.

Jüngst leuchtete ein bunter Hinweis auf das 100. Uni-Jubiläum am Rathaus, dem Sitz des Stadtparlaments, mit dem Slogan: „Von allen – für alle“. Sowohl das demokratische Parlament als auch die Universität sind aus dem antimilitaristischen und radikaldemokratischen Aufbruch von 1918 hervorgegangen. Der Krieg war beendet, ein neues – demokratisches und soziales – Zeitalter sollte beginnen.
Der Bürgerschaftsbeschluß für eine Universitätsgründung erfolgte im März 1919 und die sozialdemokratische Mehrheit und Zusammenarbeit mit links-bürgerlichen Kräften beendete den Kaufmannsdünkel, der in einer Gelehrtenrepublik eine Bedrohung geschäftlicher Interessen und Herrschaft fürchtete. Die neue „Reformuniversität“ sollte eine wissenschaftliche Ausbildung nicht nur für eine Elite, sondern auch für die Volkschullehrer ermöglichen, sollte demokratisch beaufsichtigt sein, eine studentische Mitsprache in den akademischen Gremien beinhalten und tendenziell allen Schichten geöffnet werden. Feudale Rituale der deutschen Universitäten wurden zunächst zurückgedrängt.

Die beiden Hauptstränge der Vorgeschichte der Universität – bürgerlicher Aufklärungsdrang mit geisteswissenschaftlicher Prägung und ebenso bürgerliches Kolonial- und Ausbeutungsinteresse mit naturwissenschaftlicher und staatspolitischer Akzentsetzung – wurden durch die Arbeiterbewegung um ein wesentliches Element gesellschaftlicher Progression ergänzt: Die soziale Öffnung und die Kritik an den Herrschaftswissenschaften mit ihren autoritären, sozialdarwinistischen und positivistischen Ideologien zugunsten von Völkerverständigung, Republik und gerechtem Fortschritt. Dies war nur denkbar, weil schon seit Jahrzehnten die Arbeiterbewegung jenseits der bürgerlichen Bildungstätigkeit einen eigenen ungeheuren Reichtum an Bildungsvereinen, Bibliotheken, Presse- und Buchverlagen, Theatern, Kunstproduktion und -rezeption, Breitensport uvm. entwickelt hatte. Sie beinhalteten solidarische Ambitionen für die Weltgesellschaft und damit eingreifende Kritik an jeglicher Art elitärer Auslese, an Drill und Chauvinismus.

Der Gegensatz zwischen menschlicher, egalitärer, befreiender Bildung und Wissenschaft und andererseits Herrschaftswissenschaft ist in die Universitätsgeschichte eingewoben und heute neu positiv zu entscheiden: „Von allen – für alle“ ist noch nicht eingelöst. Es erfordert kritisch kooperative Tätigkeit für bessere Finanzierung zur sozialen Öffnung und wissenschaftlichen Unabhängigkeit; für erhöhte demokratische Bildungsformen, für Frieden, Nachhaltigkeit, Humanität und Gerechtigkeit in allen Fächern und Bereichen!

Die Welt hat solche Universitäten nicht weniger nötig als vor 100 Jahren. Es liegt an uns allen, diese geschichtlich geschaffenen Möglichkeiten wahrzunehmen und weiterzuentwickeln. Aus der Geschichte ist zu lernen.