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Kratzen, Beißen, Spucken

Wie die Fakultätenbildung zur Entzivilisierung der Wissenschaften beitragen soll

„Gemeinsam mit den Hamburger Hochschulleitungen wurde das Ziel formuliert, durch eine Strukturreform das Hamburger Hochschulsystem neu zu ordnen und so die Voraussetzungen für ein selbstregulierendes wettbewerbliches Hochschulsystem zu schaffen.“

Aus der Senatsdrucksache „Leitlinien für die Entwicklung der Hamburger Hochschulen“.

„Selbstregulierend“, so versteht es Wissenschaftssenator Dräger, ist, wenn das Recht des Stärkeren gilt. Der Stärkere sei er selbst. Daher meint er mittels finanzieller Sanktionen und politischer Drohungen die Universität zum Wandel in ein Bildungs- und Forschungsunternehmen zwingen zu können. Bildung und Wissenschaft sollen „Forschungsdienstleistungen“ und „Humanressourcen“ für den „Wirtschaftsstandort“ produzieren.

Dafür scheint Dräger die Zusammenlegung der 18 Fachbereiche der Universität zu sechs „Fakultäten“ (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften, Geistes-, Kultur und Sprachwissenschaften, Medizin, Naturwissenschaften sowie Erziehungs- und Sportwissenschaften) adäquat. Diese sollen eine „corporate identity“ ausbilden, um sich im Kampf um knapp gehaltene Mittel gegenüber den anderen durch „Leistung“ (hier zählt, was gut bezahlt wird) und „Image“ durchsetzen zu können. Intern sollten die Fakultäten aufgebaut sein wie Unternehmen: Mit Vorständen und Aufsichtsräten, zur Not auch mit etwas Beteiligung von Nicht-Professoren, jedoch ohne die Möglichkeit zur demokratischen Entscheidungsfindung über die inhaltliche Ausrichtung und Organisation der wissenschaftlichen Praxis. Lehre und Forschung sollen von einander getrennt werden. Die Fakultäten sollen perspektivisch als „eigenständige Hochschulen bestehen“ können. Begründete, vernunftgeleitete und kooperative, somit also bewusste wissenschaftliche Aneignung der Lebensbedingungen soll durch das „wettbewerbliche“ freie Spiel der Markt-Kräfte verhindert werden. „Selbstregulierend“ sollen die standort-dienlichen Fächer(gruppen) und entsprechende methodische wie theoretische Ansätze in den jeweiligen Wissenschaften die kritischeren, humanistischen Wissenschaftsinhalte wegbeißen.

Das mit der „Selbstregulierung“ klappt daraufhin freilich nicht ganz. Denn diese Zielsetzung widerspricht dem gesellschaftlichen Bedarf an wissenschaftlichen Kenntnissen, Anwendungen und Hervorbringungen für die kultivierte Entwicklung menschlichen (Zusammen-)Lebens. Sie steht deshalb auch im Widerspruch zu den Vorstellungen und der Praxis der Hochschulmitglieder. In der Grundordnung der Universität wird daher formuliert: „Wissenschaftliche Kooperation, demokratische Entscheidungsfindung und allgemeiner gesellschaftlicher Nutzen der Wissenschaften sind der Universität und ihren Mitgliedern Aufgabe und Verpflichtung.“ Deutlich hat die Universität zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Auflösung des wissenschaftlichen Zusammenhangs aller Disziplinen in nach Fächergruppen sortierte „Schools“ für unverantwortlich hält – die Universität soll als Ganze erhalten bleiben. Nun wird in den Fachbereichen und Gremien der Streit geführt, ob den Forderungen des Senats ansonsten nachzukommen ist oder sich alternierend eine strukturelle Reform der Universität verwirklichen lässt, die den eigenen Ansprüchen an gesellschaftlich nützliches wissenschaftliches Arbeiten auf Grundlage demokratischer Kooperation entspricht.

Dabei wollen vor allem Universitätspräsidium und Fachbereichsdekane angesichts der Drohungen des Senators, bei Ungehorsam seine Pläne gesetzlich zu dekretieren und Mittel weiter zu kürzen, binnen eines Jahres weitgehend den Forderungen der Wissenschaftsbehörde nachkommen. Vorbei an den meist kritischen Gremien sowohl der Fachbereiche als auch der zentralen Uni-Verwaltung, sollen Entscheidungen über innere Organisation, Selbstverwaltung und damit auch über die inhaltliche Weiterentwicklung noch dieses Jahr gefällt und bis Oktober 2004 durchgesetzt werden. Das Hauen und Stechen zwischen den „Fakultäten in Planung“ um den künftig größten Einfluss beginnt.

Dabei hat der aufstiegswillige Jungsenator kaum eine realistische Handhabe: Seine angedrohten Maßnahmen würden für alle erkennbar die Aufgabenerfüllung der Universität in Forschung und Lehre weiter massiv einschränken; über derartige Defizite stolpern Hamburgs Senatoren derzeit leicht, das weiß auch Dräger. Ohne die Mitwirkungsbereitschaft der Hochschulmitglieder ist die Entwicklung aufgeklärter Praxis in Bildung und Wissenschaft nicht durch „Koof mich“ und Konkurrenz zu ersetzen.

Also: Die eigenen Ansprüche erhöhen, demokratische Beteiligung einfordern, kritisch engagieren und die eigene Wirksamkeit genießen. Je nützlicher die Uni für die kultivierte Entwicklung menschlichen Lebens ist, desto zivilisierter ist hier der Alltag. Da kann man wieder mehr Spaß haben.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 25. November 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_14.html