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Sinnstiftung für den Krieg - Krieg als Sinnstiftung

Hin und wieder fällt es dem durchschnittlichen Zeitungsleser schwer, die rasanten ideologischen Umdeutungen nachzuvollziehen, die die herrschende deutsche Politik von ihm verlangt. Nehmen wir zum Beispiel das Bild, das der gut informierte Spiegel-Leser vom "Albaner" zu haben hat. Noch Mitte der 90er Jahre wurde die Bezeichnung Albaner in der deutschen Presse weitgehend synonym gebraucht mit Drogenhandel, organisierter Kriminalität und Zuhälterei. Gleichzeitig wurden dagegen die Auseinandersetzungen im Kosovo, die auch zu dem Zeitpunkt schon erheblich waren, in Deutschland zumindest öffentlich nicht zur Kenntnis genommen.

Dann Ende 1998 erfolgte die umfassende Neudefinition: Aus den zuvor gefürchteten Albanern wurde plötzlich ein bemitleidenswertes geteiltes und unterdrücktes Volk,
aus den im Kosovo kämpfenden Bürgerkriegssoldaten und vor allem der völkischen UCK-Guerilla wurden heroische Freiheitskämpfer gegen den Erzschurken Milosevic.

Und nun, seit ein paar Wochen, ist schon wieder alles ganz anders - volle Kraft zurück: Die Albaner, so hört man jetzt, bedrohen mit ihren "terroristischen Aktionen" den Frieden in Mazedonien.

Nun ist es ja nichts neues, dass man es, wenn es um die Rechtfertigung eines Krieges geht, mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt. Da macht auch die Bundesrepublik keine Ausnahme. Im Gegenteil: die Art und Weise, wie die Herren Fischer und Scharping und ihre jeweiligen Ministerien zum Beispiel das "Massaker von Racak" oder den "Hufeisenplan" in der deutschen Medienlandschaft inszenierten, nötigte selbst amerikanischen Propagandisten Respekt ab. Und auch wenn jetzt im nachhinein zum Beispiel durch Berichte des Stern oder des WDR offenbar wird, wie weit man sich damit von der Realität entfernt hatte, stört das die Verantwortlichen kaum. Die Kampagnen haben ihren Zweck erfüllt und über den Rest wird geflissentlich geschwiegen.

Normalität: Geistige Verrenkungen zur Begründung des Krieges

Tatsächlich hatte die Kriegspropaganda während des Nato-Bombardements auf Jugoslawien in Deutschland ein Ausmaß, das in anderen westlichen Staaten so nicht zu finden war. Dabei war es kein Zufall, dass von serbischen "Konzentrationslagern" die Rede war und Präsident Milosevic als "Hitler" bezeichnet wurde. Galt es doch die Lehre aus dem Nationalsozialismus, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe zu überwinden. Ja selbst des darauf fußenden Verbotes eines Angriffskrieges im Grundgesetz musste man sich entledigen. Anstatt sich an die doppelte Losung "Nie wieder Auschwitz - Nie wieder Krieg" zu erinnern, wurde Auschwitz zur Sinnstiftung für den Krieg gegen Jugoslawien genutzt. Aber um die Deutschen wieder zu einem "normalen" Volk zu machen, das seine Interessen im Zweifel auch mit Gewalt durchsetzt, kam diese Gelegenheit gerade recht.

Um dabei aber nicht all zu leicht als offene Kriegstreiber entlarvt werden zu können, war es um so wichtiger, stets zu betonen, dass man in Deutschland ja eigentlich gar keine Wahl gehabt habe. Da war viel die Rede von Bündnisverpflichtungen und davon, dass die USA
die Bundesrepublik in diesen Krieg hineingedrängt hätten. Mit der Realität hatte auch das wenig zu tun.
Vielmehr haben deutsche Außenpolitiker bei der völkisch begründeten Zerschlagung Jugoslawiens von Anfang an eine treibende Rolle gespielt. Angefangen 1991 bei der völkerrechtlichen Anerkennung von Kroatien
und Slowenien im deutschen Alleingang,
über eine deutsch-albanische Grundsatzerklärung von 1995, die bereits damals "zur Lösung der Kosovo-Frage" ein Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner und damit deren Recht auf Sezession propagierte, bis dahin, dass
in Deutschland die Forderung nach einer
militärischen Intervention im Kosovo
aufkam, lange bevor man in den USA dazu
bereit war. "Fischer fordert Intervention
im Kosovo-Konflikt" - lautete am 10. Juni 1998 die Schlagzeile der FAZ. Er könne sich sogar
"eine Situation konstruieren, in der ein
UN-Mandat hinfällig wird" erklärte schon
damals der grüne Spitzenkandidat - während
am selben Tag der Sicherheitsberater des
US-Präsidenten Sandy Berger erklärte: "Eine
amerikanische militärische Intervention steht
nicht zur Debatte." Einige Tage später
erklärte Volker Rühe als erster Minister
eines Nato-Landes, dass die Nato-Aktion nun selbst ohne UN-Resolution in Angriff genommen werden könne.

Rüsten für die Weltmacht Europa

Allerdings hat die Legende von den
gutgläubigen Deutschen, die von den Machtmenschen in Washington rücksichtslos überrumpelt wurden und sich ganz plötzlich für den Krieg entscheiden mussten, nicht
nur den Zweck von der aggressiven
deutschen Rolle abzulenken. Sie dient
vielmehr auch dazu, den Aufbau einer eigenen europäischen Interventionsstreitmacht zu
legitimieren. Nach dem Motto: Durch Aufrüstung raus aus der amerikanischen Vorherrschaft. So orientiert sich die aktuelle Reform der Bundeswehr ja bereits wesentlich am Ziel einer eigenständigen Interventionsfähigkeit.

Hier wird sicherheitspolitisch nachvollzogen, was auf ökonomischem Gebiet bereits allgemein akzeptiert ist, nämlich dass sich Europa
und Amerika in wachsender Konkurrenz
zueinander befinden. Wenn die europäischen Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Stockholm erklärten, sie wollten die EU in einigen
Jahren zum "attraktivsten Wirtschaftsraum
weltweit" machen, so ist das in erster Linie
eine Kampfansage an die USA. Und dass
ein Staat, der weltweit seine wirtschaft-
lichen Interessen wahren will, im Zweifel auch
in der Lage sein muss, diese gewaltsam
durchzusetzen, wird ja inzwischen nicht mehr
nur von Christdemokraten vertreten. Vielmehr sollen nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992, die auch heute noch verbindlich sind, deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden können
für die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" und für die Sicherung der "vitalen deutschen Interessen". Insofern ist die militärische Intervention die Fortsetzung des wirtschaftlichen Standortwettbewerbes mit anderen Mitteln.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass wir mit der aktuellen Situation in Mazedonien erneut eine Krise vorgeführt bekommen, die ein aufmerksamer Beobachter seit langem kommen sehen konnte, bei
der aber wieder einmal jede präventive
Aktivität unterlassen wurde, bis es zur
gewaltsamen Eskalation gekommen ist.
Denn wie hätte eine solche präventive Politik dort aussehen können? Sie hätte dafür sorgen müssen, dass alle Bewohner Mazedoniens unabhängig von ihrer ethnischen, religiösen oder sozialen Herkunft friedlich zusammenleben können. Das heißt, sie hätte ein diskriminierungsfreies soziales Sicherungssystem aufbauen, umfassende Bildung für alle Menschen und
gleichen Zugriff auf gesellschaftlichen Wohlstand ermöglichen müssen. Aber wie hätte eine deutsche Politik, die nach innen wie nach außen auf Selektion und Konkurrenz setzt auf diese Weise auf dem Balkan für
sozialen Fortschritt eintreten sollen? Das wäre nicht nur schizophren, es wäre auch gegen die Interessen des eigenen Wirtschaftsstandortes gewesen. Insofern ist
der Kampf für Frieden weltweit auch immer
ein Kampf für soziale Gleichheit und Demokratie im eigenen Land.

In diesen Auseinandersetzungen kommt Wissenschaft und Forschung, kommt den Universitäten eine zentrale Rolle zu. Denn für die ideologische Legitimation einer
solchen aggressiven Politik ist ihre "wissenschaftliche" Untermauerung und Vorbereitung
von großer Bedeutung. Nicht umsonst wurde
der Streit darum, worin eigentlich das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" besteht
und ob es ein Sezessionsrecht einschließt,
schon seit Beginn der 90er Jahre mit einer
für ein solches im Prinzip akademisch-völkerrechtliches Thema ungewöhnlicher Vehemenz ausgetragen. Nicht zufällig, sondern gerade deshalb sind die Universitäten aber auch der Ort, an dem eine solche Ausrichtung besonders wirksam kritisiert und bekämpft werden kann und muss.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Donnerstag, den 14. Juni 2001, http://www.harte--zeiten.de/artikel_96.html