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Biedermänner, weiter so?

Zur Bundespräsidentenwahl

,,Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.“
Kurt Tucholsky, ,,Schnipsel“, in: ,,Die Weltbühne“, 8. März 1932.

Im krisengeschüttelten Berlin wird vor Unruhen gewarnt.
Damit die politischen und ökonomischen Verhältnisse weiter auf Kosten und zu Lasten der Mehrheit konserviert werden können, nimmt die irrationale Kultivierung des ,,Weiter so“ bemerkenswert zu: Konservativ ist gegen Aufklärung, sozialen Fortschritt, Zivilisation und also kaum lernfähig.
Merkels Kandidat für das Bundespräsidentenamt, Christian Wulff (CDU), macht entsprechend kapitaldevote Politik für eine strenge soziale Hierarchie (auch Studiengebühren!) mit norddeutschem Ordnungssinn und westfälischer Gemütlichkeit. Dem Familienkonzern Porsche/ Piech ist er über das Unternehmen VW tief verbunden. Kritik an der desaströsen Selbstbereicherung von Managern denunziert er als ,,Pogromstimmung“ wie einstmals 1938. Und auch der von SPD und Grünen nominierte Kandidat Joachim Gauck ist Prediger eines geschichtsverleugnenden Credo von der Gleichartigkeit der DDR (ohne soziales Elend und Angriffskriege) mit dem Nazistaat (mit Vernichtungskrieg und industriellem Massenmord). Er will bewahren, was ist. Kritik am Krieg in Afghanistan, an der Übermacht der Banken und Verelendung durch 20 Jahre neoliberale Politik sucht man bei ihm vergebens. Beide diffamieren das Engagement für Emanzipation, für Gleichheit und Frieden als abschreckende, anarchische Gräuel, denn sie ängstigen sich - stellvertretend für die gesellschaftliche Elite - angesichts wachsender Kritik um ihre Privilegien.
Diese wenig originellen Vorschläge für das höchste Verfassungsamt entsprechen also der machtbornierten Selbstbezüglichkeit wie den tiefen Kniebeugen des Establishments vor E.ON, Deutscher Bank und Siemens, die Land und Leuten immer noch als Politik verkauft werden. Das ist wenig überzeugend.
Verzicht und ,,Freiheit“ machen weder satt noch munter. Für ein besseres Leben ist oppositionelle Initiative ,,von Unten“ gefragt: Der Krieg gegen Afghanistan ist nicht mehr führbar, wenn der Kriegsdienst verweigert wird und wenn Waffenexporte unterbunden, die intellektuelle Arbeit auf Abrüstung, zivile Konfliktlösung und eine menschengerechte Produktion konzentriert werden. Auch sozialer Fortschritt, eine lebendige demokratische Kultur, dafür die Abschaffung aller Bildungsgebühren und eine Ausweitung sozialer Sicherung sind Notwendigkeiten, die solidarische Aktivität erfordern.
Das Verlassen jeder politischen Apathie ist also das Gebot der Gegenwart. Denn auch Banken, Aktionäre und gestriegelte Politiker können nicht machen, was sie wollen, wenn der neoliberale Zeitgeist überwunden wird. Das Leben ist keine Kosten-Nutzen-Rechnung. Wesentlich menschlich sind der aufrechte Gang und die Orientierung auf ein ziviles, produktives, soziales und heiteres Zusammenleben. Humanismus, als Aufklärung und Solidarität praktiziert, ist die lebensbejahende Alternative zum ,,Weiter so“.

,,Es fällt uns schwer, an eine Änderung des bisherigen Weltgeschehens mit seinem immer wiederkehrenden Kriegslärm zu glauben. Und doch: Utopie ist heute nicht mehr den Krieg zu überwinden, sondern ihn noch weiterhin für eine praktikable Möglichkeit zu halten.“
Gustav Heinemann, Bundespräsident von 1969 bis 1974.

Das ist auch heute eine vernünftige Antwort auf die gesellschaftliche Krise.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 16. Juni 2010, http://www.harte--zeiten.de/artikel_954.html