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Der notwendige Haß auf das Kommende

"Und auf solche Art behandelt, meine Herren, wird Ihnen das Studium der Weltgeschichte eine ebenso anziehende als nützliche Beschäftigung gewähren. Licht wird sie in Ihrem Verstande und eine wohltätige Begeisterung in Ihrem Herzen entzünden. Sie wird Ihren Geist von der gemeinen und kleinlichen Ansicht moralischer Dinge entwöhnen, und indem sie vor Ihren Augen das große Gemälde der Zeiten und Völker aus einander breitet, wird sie die vorschnellen Entscheidungen des Augenblicks und die beschränkten Urteile der Selbstsucht verbessern. Indem sie den Menschen gewöhnt, sich mit der ganzen Vergangenheit zusammenzufassen und mit seinen Schlüssen in die ferne Zukunft vorauszueilen: so verbirgt sie die Grenzen von Geburt und Tod, die das Leben des Menschen so eng und so drückend umschließen, so breitet sie optisch täuschend sein kurzes Dasein in einen unendlichen Raum aus und führt das Individuum unvermerkt in die Gattung hinüber."
Friedrich Schiller, "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede", 1789

"Meine Aufgabe ist es, all die Versager auszumerzen, die nicht fähig sind, in meinem geliebten Corps zu dienen. Weil ich hart bin, werdet ihr mich nicht mögen. Aber je mehr ihr mich hasst, um so mehr werdet ihr lernen"
Drill instructor in "Full Metal Jacket" von Stanley Kubrick

Betrachtet man die aktuellen Horrorentwürfe, nach denen auch in der Universität Hamburg in den nächsten Semestern flächendeckend Bachelor-Studiengänge das bisherige Magister- bzw. Diplomstudium ablösen sollen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es sei eine Absicht dieser Maßnahmen, den Studierenden in Zukunft vor allem Hass, Abscheu, Angst und Verdruß gegenüber Universität und Studium einzubleuen. Durch Drill und Kontrolle, durch andauernden unmittelbaren Leistungsdruck und ständigen Prüfungsstreß sollen die Studierenden just in time in das Korsett gepresst werden, das die Apologeten neoliberaler Unterordnungsideologie jeweils für aktuell marktgängig halten. Jede einzelne Veranstaltung sei zwingend verknüpft mit einer Prüfung, deren Ergebnis direkt in die Abschlußnote eingeht. Und nach nur einem einzigen nicht bestandenen Schein hieße es: "Auf Nimmerwiedersehen". Veranstaltungen anderer Fächer zu besuchen sei nicht erlaubt, es sei denn, man wäre dort extra als Nebenfachstudent immatrikuliert. Und wer die knappen Fristen zum Abschluß des Studiums nicht einhielte, hätte einen Offenbarungseid zu leisten und sich auf einen eindeutigen Zeitplan für die noch abzuleistenden Tüchtigkeitsbeweise festzulegen. Wird auch der nicht voll eingehalten: ebenfalls raus! Wer sich von vornherein zu solcher Unterwerfung nicht in der Lage sieht, möge von sich aus die Flucht ergreifen.

Mit diesen Horrorvisionen sollen die Ziele der Studienreform der 1970er Jahre in ihr Gegenteil verkehrt werden. Ging es damals darum, wissenschaftliche Methoden und Fragestellungen auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme wie Krieg und Unterentwicklung, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung auszurichten und alle Errungenschaften menschlicher Kultur dafür zu mobilisieren, die Lebensbedingungen für viele zu verbessern, sollen nun die Studierenden dafür zugerichtet werden, unter immer destruktiveren Bedingungen den Laden am laufen zu halten. Die Wissenschaften, die Quell ermutigender Aufklärung und "wohlthätiger Begeisterung" sein müßten, sollen als verhaßtes Instrument gesellschaftlicher wie individueller Unterwerfung und Demütigung erscheinen. Dagegen hilft nur die gemeinsame Opposition.

Erkenntnis und Aufklärung und Kooperation hilft den meißten. Das Zweifeln an der Zurichtung ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

"O schönes Kopfschütteln
Über der unbestreitbaren Wahrheit!
O tapfere Kur des Arztes
An dem rettungslos verlorenen Kranken!
Schönster Zweifel aber
Wenn die verzagten Geschwächten den Kopf heben und
An die Stärke ihrer Unterdrücker
Nicht mehr glauben!"

Bertolt Brecht, "Lob des Zweifels"

Die unverzagte Neigung zur Hebung des Kopfes führt das Individuum auch in der Wissenschaft merklich in die Gattung hinüber.

V.i.S.d.P.: Olaf Walther & Golnar Sepehrnia, c/o Studierendenparlament, VMP 5, 20146 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg
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Veröffentlicht am Dienstag, den 18. Januar 2005, http://www.harte--zeiten.de/artikel_535.html