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Akademiker leben besser

"Akademiker leben besser: Sie haben mehr Handlungsräume bei der Berufswahl, sie erzielen ein höheres Einkommen, und ihre Jobs sind sauber."

(Detlef Müller-Bölling, seit 1994 Chef des Centrum für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung)

Ganz so leicht wie geplant kann der Rechtssenat seine Studiengebührenwünsche nicht durchsetzen: 500 Euro pro Semester (zunächst "nur" für sogenannte Langzeitstudierende und Nicht-Hamburger) hatte Wissenschaftssenator Dräger unbefangen in sein sogenanntes Hochschulmodernisierungsgesetz geschrieben. Doch als Folge der studentischen Proteste 1997/1998 und gestärkt durch den Beschluss des SPD-Parteitags 2001, Studiengebühren generell abzulehnen, hat die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn ein Verbot von Studiengebühren für das Erststudium im Hochschulrahmengesetz festgelegt. Um dieses Studiengebührenverbot aus der Welt zu schaffen, klagt Dräger nun sein Leid beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Offiziell behauptet Dräger zwar, die Studiengebühren sollten die Uni finanziell stärken und die Studienzeiten verkürzen. Tatsächlich geht es ihm jedoch um die Durchsetzung von Kundenorientierung und Standortideologie in Bildung und Wissenschaft, die an die Stelle von demokratischer Beteiligung und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit als Grundsätze der Hochschulentwicklung treten sollen. Mit Langzeitstudiengebühren sollen alle "Abweichler", die in ihrem Studium statt der arbeitsmarktkonformen Ausbildung die eigene Entfaltung in den Mittelpunkt stellen, zur Bravheit gezwungen werden. Die Bildungsinstitutionen sollen Unterordnung unter hegemoniale Normalitätsanforderungen sicherstellen, statt kritische Weltaneignung für eine emanzipatorische Praxis aller zu ermöglichen.

Das ideologische Campagning für diese Politik besorgt das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), eine Einrichtung der Bertelsmannstiftung, die seit Jahrzehnten finanzkräftig und systematisch für die Durchsetzung neoliberaler Ideologie in öffentlichen Einrichtungen wirkt: Von der Setzung ausgehend, es müsse ewig Leute mit "besserem" und "schlechterem" Leben geben, wird folgerichtig 'argumentiert', Akademiker zu sein, rentiere sich doch im späteren Leben, weshalb Studiengebühren nur gerecht seien. Studiengebühren sollen als Investition in die eigenen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten betrachtet und damit akzeptabel gemacht werden. Die Studierenden sollen sich als Kunden verstehen, Bildung gilt als Ware und Hochschulen als Dienstleitungsunternehmen.

(Selbst-)Kritisches Erkennen? Allgemein nützliche Problemlösungsorientierung in den Wissenschaften? Demokratische Aufgabenbestimmung für Lehre und Forschung? Kooperative Forschungspraxis? Humanismus?

Nein; geht's nach Bertelsmann und Dräger, bescheide dich darauf, aus deiner Arbeitskraft das beste herauszuholen und sie meistbietend zu verkaufen. Und dann: Lebe! 60-Studen-Woche als Managerin, Korrespondent, Top-Forscherin oder Kleinunternehmer mit entsprechendem "leistungsgerechtem" (d.h. ungesichertem) Einkommen, mit Untergebenen, mit Familie (gerne mehrere Versuche), mit Adventure-Urlaub, Squash und Toscana-Illusion im Eigenheim. Kurz: Eigentätige Ausbeutung mit Life-Style. Armut für die Masse, Armseligkeit auch für die Elite. In Ewigkeit. Amen.

Wie war das mit dem besseren Leben?

Solidarische Kooperation und kritische Praxis in der Erforschung und Deutung gesellschaftlicher und natürlicher Wirkungszusammenhänge sind die Grundlage für die humane Entwicklung der Lebensbedingungen aller Menschen. Dies ist das fortschrittliche Potential der Hochschulen. Um es zur Geltung zu bringen, sind kritischer Gesellschaftsbezug in Lehre, Studium und Forschung als Ergebnis der demokratischen Beteiligung aller Hochschulmitglieder an der Aufgabenbestimmung für Bildung und Wissenschaft durchzusetzen; der offene Hochschulzugang, allgemeines Studiengebührenverbot, soziale Absicherung aller, Förderung problem-kritischer (Hochschul-)Bildung - auch in der Weiterbildung - sind konkrete Reformen, die gegen die Attacken von Kapitalvertretern und Rechtssenat erstritten werden müssen.

Dies zu erkämpfen, ist eine wesentliche Aufgabe der Verfassten Studierendenschaft. Als organisierte studentische Interessenvertretung kann sie im Bündnis mit Gewerkschaften sowie sozialpolitischen Institutionen und Bewegungen, gesellschaftliche Reformen zur Humanisierung des Alltags gegen den Druck von Bertelsmann und Rechtssenat erwirken. Deshalb will der Rechtssenat mit seiner Verfassungsklage gleichzeitig die ebenfalls neue gesetzliche Festschreibung von Verfassten Studierendenschaften beseitigen. Die vollständige Eliminierung politischer Interessenvertretung aus den "Bildungsunternehmen" ist angestrebt. Markt und Konkurrenz total - statt demokratische Auseinandersetzung für Erkenntnisgewinn und somit vernünftig begründete solidarische Interessenverwirklichung ist hier die Alternative. Die Auseinandersetzung ist entsprechend scharf. Mit Wehklagen über die Repressionspolitik des Senats ist nicht viel auszurichten. Prinzipielle Opposition, klare humanistische Entwicklungsperspektiven und konzentrierter, aufklärerischer Kampf um die politische Hegemonie sind vielmehr von Nöten.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Donnerstag, den 16. Januar 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_40.html