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Friedensmacht Europa?

„Ein anderer Völkerbund wäre nötig als der Genfer: ein Bund der Völker gegen ihre Regierungen, die ihren Friedenswillen nicht ausführen; und der bürgerlich geborene geistige Mensch muss sich heute sagen, dass, wenn in den Hauptstaaten Europas heute Arbeiterregierungen an der Spitze stünden statt bürgerlicher oder feudaler, der Erdteil ein gutes Stück weiter, als es leider der Fall ist, auf dem Wege der Ordnung, Vernunft und Gesundung vorangeschritten wäre.“

Thomas Mann, Reden und Aufsätze.

Statt auf Frieden und internationale Solidarität setzt der Entwurf für eine Verfassung der Europäischen Union auf Militarismus und Aufrüstung. So sollen sich die Mitgliedstaaten nach Artikel 40 (Besondere Bestimmungen für die Durchführung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik) verpflichten, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Mit einem solchen – weltweit einzigartigen – verfassungsmäßig verankerten Aufrüstungsgebot, werden die Profitinteressen der europäischen Rüstungskonzerne bedient, während in ganz Europa Sparrunden und damit verbundene Einschnitte in die Sozialsysteme umgesetzt und angekündigt werden. Weiter heißt es in Artikel 210, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter anderem „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“ umfassen solle. „Mit allen diesen Missionen“, so heißt es weiter, „kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“. Nicht spezifizierte Krisenbewältigung und Terrorismusbekämpfung sollen dafür herhalten, Militärinterventionen in allen Teilen der Welt zu legitimieren – solche Formulierungen sind aus den Rechtfertigungsreden zu den Angriffskriegen der letzten Zeit, von Jugoslawien bis zum Irak, nur all zu gut bekannt. Eine Bindung an UN-Beschlüsse ist dabei eindeutig nicht vorgesehen. Und man kann sicher sein, dass solche Regelungen in der EU-Verfassung dazu genutzt werden sollen, die Einschränkungen aufzuheben, die im deutschen Grundgesetz als Konsequenz aus der barbarischen Destruktion des faschistischen Vernichtungs- und Eroberungsfeldzugs mit 60 Millionen Toten gefasst sind: Die Friedenspflicht und Verfassungswidrigkeit eines Angriffskrieges nach Artikel 26 des Grundgesetzes würden ausgehebelt.

Unter dem Druck einer aggressiven US-Politik zur Erschließung billiger Rohstoffe und neuer Märkte und deren geostrategischer Absicherung, die vor allem in den Kriegen gegen Afghanistan und den Irak Ausdruck findet, soll die Europäische Union auf einen militaristischen Interventionskurs gebracht werden. Ziemlich klar ist, dass reaktionäre und kapitalkonforme rechte Regierungen Europa hochrüsten wollen, um in der imperialistischen Konkurrenz um profitable Ausbeutungsbedingungen den USA Paroli zu bieten. Dass jedoch auch so genannte Mitte-Links-Regierungen seit einigen Jahren mitgehen, hat noch weitere Gründe:
Die zunehmende weltweite Entwicklungsungleichheit hat, befördert durch WTO, Weltbank und die notfalls kriegerische Expansion des kapitalistischen Wirtschaftsmodells durch die USA und ihr verbündete Industrienationen zu einer Zunahme von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Konflikten und Kriegen geführt. Angesichts der vorherrschenden Ideologie vom angeblich erreichten „Ende der Geschichte“ entmutigt, ein alternierendes Gesellschaftsmodell anzustreben, versuchen mittlerweile einige ehemals linke Staatschefs Entwicklung und Zusammenarbeit für die Menschheit herbeizubomben. Ihre Erpressbarkeit beruht dabei auf der irrigen Annahme, wenigstens die übelsten Erscheinungen der Ausbeutung mit militärischen Mitteln regulieren zu können.

Das gilt um so mehr für den UN-Sicherheitsrat, der dem Widerstand vieler Staaten und dem Druck der Friedensbewegung während des Irak-Krieges zum Trotz, zum unmittelbaren Erfüllungsgehilfen der USA geworden ist. Den USA ist es nach mehreren Anläufen gelungen, im Sicherheitsrat die einstimmige Annahme ihrer Irak-Resolution durchzusetzen, die den anglo-amerikanischen Überfall auf den Irak nachträglich legitimiert, indem der Sicherheitsrat einer multinationalen Truppe in Irak unter dem Kommando der USA das Mandat erteilte. Angesichts der dramatischen Lage der Bevölkerung im Irak stimmte die ehemalige Kriegsgegner-Allianz zu. Substanzielle Verbesserungen der Lebensbedingungen der irakischen Bevölkerung sind jedoch ohne Widerstand gegen den Raubzug der USA nicht zu erwarten.

Vor dem Hintergrund massiver Völkerrechtsbrüche seitens der USA ist es deshalb notwendig, eine Friedenspflicht in der künftigen EU-Verfassung zu verankern und die strikte Wahrung des Gewaltverbots der UN-Charta zu bekräftigen. Völkerrechtsbruch und Angriffskriege dürfen weder durch die EU noch durch ihre Mitgliedstaaten befürwortet, geschweige denn unterstützt werden. Notwendig ist statt dessen: Stopp der militärisch geprägten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Verzicht auf den Aufbau einer europäischen Armee, Abschaffung aller Interventionseinheiten, Wiederbelebung des Prozesses der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung in Europa und Stärkung der internationalen Zusammenarbeit für soziale Entwicklung und Demokratie. Für Europa selbst erfordert das die Schaffung einer zivilen europäischen Friedensordnung: Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, Humanisierung des Alltags durch Arbeit, Bildung, Gesundheit und Kultur für alle Menschen. Dies muss Ausgangspunkt für die weltweite Durchsetzung sozialer Gleichheit, kultureller Entfaltung und internationaler Solidarität sein. Dafür kämpfen wir als Teil der weltweiten Friedensbewegung.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 26. Oktober 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_19.html