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Ausgemerkelt
Oder
Die Moral der Schuldenbremse

,,Auf jeden Fall. Griechenland schlittert in eine gesundheitliche Katastrophe. Wenn der Staat nicht gegenlenkt, wird das Land mittel- und langfristig im wahrsten Sinne des Wortes sehr krank sein. Wir sehen aktuell ja auch schon einige Symptome. Die Selbstmordrate im Land ist in den Jahren 2009 bis 2011 um 40 Prozent angestiegen. Nicht nur wegen finanzieller Notsituationen, sondern auch, weil es kaum noch Hilfe für Menschen mit psychischen Problemen gibt. Diese Hilfen wurden wegrationalisiert. Im vergangenen Jahr sahen wir das auch bei der Malaria- Epidemie auf dem Peloponnes. Mit einem intakten Gesundheitssystem wäre vieles einfacher gewesen.“

Apostolos Veizis, ,,Ärzte ohne Grenzen“ (Athen), in: heute (ZDF), am 1. Oktober 2012.

,,Der Zweck ist immer, dem Volk etwas zu nehmen: hier seine geistigen Mittel, die Machtmittel sind; an anderer Stelle seine Waffen im Wirtschaftskampf; bis man allen endlich den letzten Rest der persönlichen Selbstbestimmung entzieht. Dann bleiben allenfalls die Guthaben bei den Sparkassen zu stehlen, und auch das wird nicht versäumt.“

Heinrich Mann, ,,Verfall einer geistigen Welt“, 1934.

Die deutsche Kanzlerin fährt nach Griechenland. Es ist immerhin über ein Jahr her, daß sie den Griechen vorwarf, notorisch weniger zu arbeiten als hierzulande üblich, mehr Urlaub zu machen und früher in Rente zu gehen. Nichts davon ist wahr, kaum etwas vergessen.

Ebensowenig ist wahr, daß Europa an einer Schuldenkrise leide. Vielmehr ist es eine Humanitätskrise. Denn die Ursache der Schäden liegt nicht darin, dass die Mehrheit der Menschen ,,über ihre Verhältnisse gelebt“ hätte, sondern in systematischen Steuerkürzungen (für die Reichsten), Niedriglohnpolitik, entfesselter Spekulation und unerschöpflicher Bankenrettung aus öffentlichen Mitteln.

Das Ergebnis ist menschlich desaströs und ökonomisch, weil die Konjunktur dauerhaft abgewürgt wird, der Weg in eine Rezession. Dieser Abweg soll mit dem Fiskalpakt (,,Schuldenbremse“ auf EU-Ebene, Hilfsgelder nur gegen harte Kürzungsauflagen, Beseitigung der Haushaltssouveränität der Landesparlamente) verewigt werden.

Dafür ist die Kanzlerin auf Tour.
Dagegen wächst die Solidarität sozialer Bewegungen in ganz Europa.

Die ,,Schuldenbremse“ gilt auch hierzulande und suggeriert, Schuld an der Krise, seien zu hohe Ausgaben für Gesundheit, Bildung, Soziales und Kultur, sei also kurz: das menschliche Leben.

Die Würde des Menschen als Kostenfaktor zu betrachten ist mit Artikel 1 des Grundgesetzes – ,,Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – nicht vereinbar.

Eine wirklich ,,europäische“ Antwort – aufgeklärt, demokratisch, gemeinschaftlich und sozial – auf die Krise ist daher die Regulierung der Finanzmärkte, sozialstaatliche Investitionen, echte Besteuerung von Gewinnen und großem Reichtum und ein Schuldenerlaß sowie gründliche Lohnerhöhungen und ein solidarisches Verständnis des Gemeinwesens. Die Banken sind als Verursacher des Übels nicht sakrosankt.

Bewegung mit dieser Richtung ist der Ausgang aus der Krise in eine hellere Zukunft.

Und das gilt dann auch für die Kanzlerin: Wer nicht lernen will, muß es trotzdem.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 8. Oktober 2012, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1133.html